Kolumne

Das erste Jahr mit Baby: Pampers, Pekip und Pischi

Foto: Amin Akhtar

Was haben die zurückliegenden zwölf Monate gebracht? Anne Klesse, eine junge Berliner Mutter, hält Rückschau. Sie kennt nun Pampers und Pekip – und hat ein neues Selbstbild.

Das zurückliegende Jahr begann für mich mit dem besten halben Glas Champagner, das ich je getrunken habe, denn vor mir lag ein ganz besonderes neues Jahr. Das Jahr, in dem ich ein Kind bekommen würde.

Rückblick. Als um Mitternacht die Raketen in den rauchigen Berliner Himmel steigen, blättere ich innerlich auch mein ganz persönliches Kalenderblatt um. Am 1.1.2013, einem Dienstag, komme ich in die 21. Schwangerschaftswoche, Silvester war also auch eine Art Bergfest, der voraussichtliche Entbindungstermin war auf den 21. Mai datiert.

Bis dahin war die Schwangerschaft verlaufen wie viele andere, anfangs mit ständiger Übelkeit. In dieser Phase hatte ich bei der Arbeit noch niemandem etwas erzählt, also jonglierte ich mit kleinen Notlügen (was Falsches gegessen, ein Virus,…). Eine Krankschreibung wollte ich nicht, Schwangersein ist ja schließlich keine Krankheit (wobei ich mir auch gut so eine Auszeit in der Luxusklinik hätte vorstellen können, wie Herzogin Kate sie sich genommen hatte). Noch 98 Tage bis zum Mutterschutz!

5.1.: Am ersten Wochenende des Jahres besichtigen wir eine Kita. Richtig, eine Kita. Zu diesem Zeitpunkt kennen wir zwar noch nicht einmal das Geschlecht unseres ungeborenen Kindes, aber man solle so früh wie möglich anfangen mit der lästigen Kitaplatzsuche, hatten Kolleginnen geraten. Das widerstrebt mir völlig, ich möchte erst einmal das Kind gesund zur Welt bringen, bevor ich mich mit altershomogenen Gruppen und kreativen Bewegungsräumen beschäftige.

Theorie und Praxis I: Wir haben Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Aber was heißt das schon? Heute, immer noch kitaplatzlos, weiß ich: Um das Kind nach der Elternzeit in guten Händen zu wissen, sollte man sich am besten direkt nach der Empfängnis auf jede Warteliste im Bezirk schreiben lassen, eine dicke Haut gegen unfreundliche Einrichtungsleiterinnen zulegen („Haben Sie sich denn überhaupt schon mit unserem Montessori-Ansatz vertraut gemacht?“) und eventuell Kuchen oder ein wenig Bakschisch vorbeibringen.

Theorie und Praxis II, III und IV: Statt eines neuen Sofas („wird mit Baby eh nur dreckig, das ganze Gespucke und so“) ist die erste Anschaffung des Jahres ein Trockner. Statt ins Fitnessstudio gehe ich jetzt zum Schwangerenyoga („Atmet in euer Becken, zieht die Sitzhöcker zusammen und atmet aus mit einem lauten Ssuuu…“ Der erste Schritt zu Nichts-mehr-peinlich-finden ist getan). Statt im Kino verbringen wir unsere Abende bei Infoveranstaltungen der umliegenden Geburtskliniken.

Freitag, 18.1., 23. SSW: Zweiter Termin beim Feindiagnostiker. Beim ersten war das Paar vor uns weinend aus dem Sprechzimmer gekommen und ich daraufhin so angespannt, dass ich kaum etwas mitbekam von dem, was der Arzt erklärte. Als 35-Jährige gelte ich ja immerhin als uralte Risikoschwangere. Doch, glücklicherweise auch dieses Mal: Aufatmen. Unser Baby turnt in 3D über den riesigen Flachbildschirm und sieht heute erstmals auch aus wie ein richtiges Baby: mit rundem Kopf, Augen, Lippen, Fingern und Füssen. Es schluckt Fruchtwasser wie es soll, die Organe funktionieren, das Gehirn ist durchblutet, es bewegt Arme und Beine, es lächelt – und es hat ganz eindeutig einen Penis. Ein Junge, 530 Gramm schwer, 28 Zentimeter lang.

Der Name steht schnell fest: Karl, nach unseren beiden Großvätern.

Freitag, 1.2., 25. SSW: Seebestattung meiner Großtante. Mit der ganzen Familie an die Ostsee. Ich bin froh, dass sie einen Teil der Schwangerschaft noch erlebt hat; Karls Namensgeber war ihr Schwager, die beiden hatten ein enges Verhältnis. Eine Freundin sagt: „So ist wohl das Leben: Ein Mensch geht, einer kommt.“ Ich denke lange über diesen Satz nach.

In mir wächst ein neuer Mensch heran. Menschen sterben und Menschen werden geboren. So natürlich und urtümlich eine Schwangerschaft ist, so besonders und intim und exklusiv fühlt sie sich für mich an.

Das Wochenende verbringen wir in meiner Heimat Hamburg. Die Gesprächsthemen mit Freunden verändern sich. Es geht jetzt oft um Kinderwunsch, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, darum, inwiefern Karriere als Teilzeitmutter überhaupt noch möglich sein wird. Ein Gegenüber mit Babybauch animiert offenbar dazu, über die eigene Lebensplanung nachzudenken.

Die nächsten Wochen versuche ich mich so viel wie möglich mit Freunden zu treffen. Verabredungen in der Mittagspause, Dinner-Dates nach der Arbeit. Wer weiß, wann ich das nächste Mal ausgehen kann? Ansonsten gibt es viel zu organisieren: eine Hebamme zum Beispiel. Für die Vorsorge und eine sogenannte Beleghebamme, die bei der Geburt dabei ist, bin ich zu spät dran. Natürlich, ich Chaot. Für die Nachsorge vermittelt mir der Zentrale Hebammenruf jemanden; sie kommt auf einen Kaffee vorbei, es passt. Mir ist eh noch nicht so ganz klar, was „Nachsorge“ überhaupt bedeuten soll.

Donnerstag, 14.2., 27. SSW: Valentinstag – ganz vergessen! Hoffentlich ist das nicht der Anfang vom Ende der romantischen Zweierbeziehung. Heute steht der Zuckerbelastungstest an: Um acht Uhr morgens nüchtern einen Becher Glukoselösung herunterwürgen. Nach einer und nach zwei Stunden wird mein Blutzuckerwert gemessen. Der Wert ist nicht gut, Überweisung zur Sprechstunde für Gestationsdiabetes.

Montag, 18.2.: Gespräch mit Vorgesetzten zur Planung der Elternzeit. „Wissen Sie schon, wie lange Sie aussetzen möchten?“ Noch 92 Tage bis zum errechneten Entbindungstermin. Ich weiß noch gar nichts. Ich bin gerade mit meinem Zuckerspiegel voll ausgelastet. Wird ein Jahr reichen? Sind drei zu viel? Warum nicht aussetzen, bis Karl volljährig ist und mich tatsächlich nicht mehr braucht? Oh mein Gott, ich mutiere schon jetzt zur Glucke.

Theorie und Praxis V: Ich bin das, was man eine emanzipierte, gut ausgebildete Akademikerin nennt. Abitur, Ausland, Studium, Praktika, Volontariat, befristeter Vertrag, Festanstellung. Ein paar Jahre Arbeit, acht Stunden am Tag, zehn, manchmal zwölf, am Wochenende, an Feiertagen. „Du hast ja keine Familie, da kannst du ja Weihnachten arbeiten, oder? Und Silvester, Ostern?“ Ich habe das gern getan, obwohl ich immer fand, Vater, Mutter und Geschwister sind ja auch Familie. Aber jetzt plötzlich gehöre ich zu der anderen Fraktion, zumindest fast. In drei Monaten werde ich auch eine Kollegin „mit Familie“ sein. Eine, die dann pünktlich nach Hause will, denn es wartet schließlich das Kind. Die Schwangerschaft verändert mich, äußerlich und innerlich, und es verändert das Bild, das andere von mir haben.

Seit die Gynäkologin im September 2012 das erste Ultraschallbild ausgedruckt hat, eine Schwarzweiß-Aufnahme mit einem kleinen grauen Fleck in der Mitte, fühle ich mich nie allein, fühle mich ausgefüllt. Es gibt im wahrsten Sinn des Wortes einen neuen Inhalt. Ich bin immer in Begleitung meines Kindes. Ein Gefühl, das schwer zu erklären ist.

Ende Februar: Mein Freund beschäftigt sich mit dem Thema Kinderwagen. Er vergleicht Testergebnisse, holt sich Rat bei befreundeten Vätern. Die Wahl fällt schließlich auf ein stabiles und gleichzeitig stylisches Modell mit kleinem Wendekreis zum Preis eines Gebrauchtwagens.

Ein Baby zu bekommen ist teuer: Für Kinderwagen und -karrenaufsatz, Beistellbettchen, Kinderbett, Wickeltisch, Babywippe, Tragetuch, Erstausstattung mit Schlafsack, Stramplern, Söckchen, Mützen etc. investieren wir mehr als 2000 Euro. Glücklicherweise greifen uns unsere Eltern für die vielen Anschaffungen unter die Arme. Wie schaffen das andere?

Dienstag, 19.3., 32. SSW: Diabetessprechstunde im Krankenhaus. Ich bekomme ein Pieks- und Messgerät mit nach Hause. Ab sofort muss ich viermal täglich Blutzucker messen. Mist.

Theorie und Praxis VI: In den Klatschzeitschriften werden diverse gut aussehende Promischwangere zitiert, die sich angeblich alle „wunderschön“ fühlen und „ so sexy wie nie zuvor“. In den Bildunterschriften heißt es, die Damen hätten „diesen besonderen Glow, den nur Schwangere haben“. Herzogin Kate trägt eng anliegende Designerfummel, ihre Beine sind schlank wie eh und je. Ich dagegen fühle mich zunehmend schwerfällig. Gegen Wassereinlagerungen in den Beinen muss mir mein Freund morgens in enge lange Kompressionsstrümpfe helfen. Neulich habe ich einen entenähnlichen Watschelgang bei mir festgestellt. Wo bitte ist mein Glow??

Freitag, 22.3. , 32. SSW: TXL – Palma de Mallorca, letzter Pärchenurlaub des Lebens! Das Frühlingswetter tut gut. Ich verzichte auf Kompressionsstrümpfe und lasse den Wassereinlagerungen in Flipflops freien Lauf.

Sonnabend, 6.4., 34. SSW: Geburtsvorbereitungskurs. Entgegen meiner Erwartungen lernen wir nicht zu hecheln. Dafür wird minutiös erklärt, wie sich das Kind unter der Geburt durch das Becken drehen muss. Die leitende Hebamme hat ein Modell dabei, das die Eröffnung des Muttermundes zeigt. Oh mein Gott.

Montag, 8.4.: Offiziell letzter Arbeitstag! Ich habe mir allerdings frei genommen und treffe mich zur Feier des Tages zum Brunch mit den anderen Hochschwangeren vom Yoga. Es werden Tipps ausgetauscht (Himbeerblättertee für einen weichen Muttermund, Akupunktur zur Geburtsverkürzung!). Ich mache mir Notizen, ich bin ziemlich vergesslich. Alles, was auch nur ansatzweise helfen könnte, werde ich tun.

Theorie und Praxis VII: Ich halte mich für einen recht gelassenen Menschen. Aber langsam bekomme ich doch Muffensausen. Werde ich das mit der Geburt schaffen? Rotwein am Abend wäre jetzt hilfreich, um nicht jede Nacht wach zu liegen. Stattdessen gibt es Himbeerblättertee.

17.4., 36. SSW: Lunch mit den ehemaligen Kolleginnen. Ich rufe kurz vorher an: „Hier, die Tonne an der Ecke, seht ihr mich?“ Sie können sich ihr Lachen nicht verkneifen, als sie mich sehen. Es lässt sich nicht verniedlichen, ich bin tatsächlich eine Tonne. Mit Elefantenfüßen. Aber immerhin: Ich fahre noch Rad und mache Yoga. „Wer sich vorher fit hält, wird auch nachher schneller wieder fit“, sagt die Hebamme.

Kliniktasche packen. Was zieht man zu einer Geburt an, gibt es eine Art Dresscode? Ich kaufe ein knielanges Baumwollnachthemd. Der Elterngeldantrag liegt unberührt auf dem Sofa. Die sechs Seiten Behördendeutsch überfordern mich.

12.5., SSW 38+5: Während des Kieler Sonntagabend-Tatorts plötzlich Blutungen. Anruf in der Klinik: Was soll ich tun? „Sofort kommen.“ Während der Untersuchung platzt die Fruchtblase. Jetzt ist es also soweit. Mir schlackern die Beine.

Geburtsvorbereitende Akupunktur, Himbeerblättertee, Glück oder Zufall – die Wehen werden schnell stärker, für Angst bleibt jetzt keine Zeit. Nach fünfeinhalb Stunden sind die Schmerzen weg, so plötzlich wie sie kamen.

Er ist da. Mein Sohn liegt vor mir auf dem Bett. Er guckt mich an. Ich gucke ihn an. Ich bin Mutter!!

Theorie und Praxis VIII: Schichtwechsel auf der Geburtsstation, bis zur U1, der ersten umfassenden Untersuchung im Leben eines Menschen, habe ich Zeit, mir mein Baby in Ruhe anzusehen. Es hat volles braunes Haar, große Augen, viele Falten. Das ist er nun also. Ich mache Fotos mit dem iPhone und verschicke sie an Freunde und Familie. Als die Schwester hereinkommt, bin ich noch wie wild am Nachrichten eintippen. Gott, was bin ich nur für eine Mutter.

Karl, 3720 Gramm, 54 Zentimeter.

Ich sehe an mir herunter. Wo ist das Nachthemd? In der Hektik habe ich ganz vergessen mich umzuziehen.

Die ersten Tage zu Hause ist alles neu: Alle drei Stunden Baby wecken, stillen, Bäuerchen, wickeln, in den Schlaf wiegen, wieder stillen, Bäuerchen, wickeln. Karl schreit – was hat er bloß? Ist ihm zu kalt, zu heiß, hat er Hunger, Schmerzen? Die Stunden vergehen wie im Flug. Das Baby ist der Mittelpunkt, alles richtet sich danach, was Karl gerade braucht. An Schlaf ist kaum zu denken. Der Haushalt muss ja auch noch gemacht werden. Warum haben wir eigentlich keine Angestellten? Die Hebamme kommt fast jeden Tag, wiegt das Baby, zeigt, wie was geht. Nachts kann ich trotz bleierner Müdigkeit kaum schlafen: Atmet er noch? Geht es ihm gut? Ich beobachte ihn, stundenlang.

Wir lernen: Es gibt Regeln zu beachten: Der Säugling soll im eigenen Bett im Schlafzimmer der Eltern schlafen, auf dem Rücken, im Schlafsack, bei einer Raumtemperatur zwischen 16 und 18 Grad.

Der Windeleimer füllt sich schneller als wir fähig sind, ihn runter zum Müll zu bringen. Waschmaschine und Trockner laufen quasi ununterbrochen, die Neuanschaffung hat sich definitiv gelohnt. Unsere Klimabilanz allerdings dürfte in diesem Jahr wie die eines kleinen Kohlekraftwerks ausfallen.

Die Familie kommt zu Besuch. Alle wollen das Baby sehen, halten, fotografieren. Von allen Seiten gibt es Ratschläge zum Stillen („einfach mal die Zähne zusammenbeißen“), Flaschenfüttern („einfach mal einen Löffel mehr rein, dann ist er länger ruhig“), Schlafen („einfach mal schreien lassen“) usw. Gut gemeint sicherlich, aber wir wollen unsere eigenen Erfahrungen machen.

Die Schwangeren vom Yoga und der Akupunkturrunde haben jetzt auch alle ihre Babys bekommen. Man trifft sich zum Spaziergang oder zum Brunch. Mein Freund muss wieder arbeiten. Ich genieße es, frei zu haben, nichts zu planen. Die Tage richten sich nach Karl. Langsam habe ich raus, wann er Hunger hat, wie lange er wann schläft, wie oft er in die Windeln macht und wann ich Zeitfenster habe, um spazieren oder einen Kaffee trinken zu gehen. Das Leben ist toll! Ich bin eine Profimutter und habe das tollste Baby der Welt!

28.6., sechseinhalb Wochen nach der Geburt: TXL – Abu Dhabi. Abu Dhabi – Sydney. Die nächsten zwei Monate verbringen wir in Australien! In Sydney sind wir drei ganz auf uns gestellt. Keine Familie, keine Freunde, keine Hebamme, keine Kinderärztin, keine Gynäkologin in der Nähe. Aber: auch kein Beistellbettchen, kein Wickeltisch, keine Babywippe.

Wir schlafen alle drei in einem Bett. Damit Karl nicht rausfällt, stellen wir Stühle an die Seite. Entgegen aller ärztlichen Ratschläge will Karl nicht auf dem Rücken schlafen, sondern lieber auf der Seite oder in der total verbotenen Bauchlage. Außerdem gibt es keine Heizung, nur eine Klimaanlage. Damit wir nachts (in Australien ist Winter) nicht frieren, drehen wir sie abends voll auf. Die Raumtemperatur liegt bei etwa 22 Grad. Schlechtes Gewissen: War es gut hierherzukommen? Muten wir dem Kleinen zu viel zu?

Theorie und Praxis IX: Regeln und Ratschläge sind sinnvoll. Aber nicht immer auf die Praxis anwendbar. Man kann versuchen, immer alles richtig zu machen. Aber Leben bedeutet auch Kompromisse und Abenteuer eingehen. Für uns jedenfalls.

Ende Juli ziehen wir an den Bondi Beach. Strand vor der Haustür. Strandspaziergänge, Bootsfahrten, Whale watching, Ausflüge in die Blue Mountains und nach Melbourne. Wir sind ein eingespieltes Team. Die Australier machen es uns leicht. Bei jeder Treppe, jedem Buseinstieg wird geholfen, Babys sind überall willkommen. Die Leute gucken in den Kinderwagen und lächeln. Wir werden oft angesprochen: Wie alt? Wie sind die Nächte? „Genießt es, sie werden so schnell groß“, heißt es ständig.

13.9.: Zurück in Berlin, viermonatiger Geburtstag! Bei der U4 schreibt die Kinderärztin ins Untersuchungsheft: Körpergewicht 7560 Gramm, Körperlänge 68 Zentimeter. Mein Sohn ist groß und stark. Neulich war er doch noch halb so schwer. Es geht alles so verdammt schnell. Wir sind zurück in unserem Zuhause, haben das Beistellbett, den Wickeltisch, die Wippe, das ganze Babyequipment wieder. Es geht auch ohne, aber einfacher ist es definitiv mit.

Die Wochen sind nun durchgetaktet: montags Rückbildung, mittwochs Mama-and-me-Yoga, donnerstags Babyschwimmen, freitags Spielgruppe. Bei der Rückbildung geht es wieder um die „Sitzhöcker“. Beim Schwimmen ziehen die Eltern ihre Babys durch das warme Wasser und singen dabei Lieder a la „Wir sind beim Baby-schwim-men und ha-ben ganz viel Spaaaass…“. Ich komme mir albern vor, Karl findet’s super. Freitags wird wieder gesungen: „Jakob hin, Jakob her, Jakob ist ein Zottel-bäääär…“ Die Babys sind die ganze Stunde über nackt, des Körpergefühls wegen und so weiter. Der Raum ist in etwa so warm wie das Babyschwimmbecken. Natürlich pinkeln die Kleinen die ganze Zeit, auf den Boden, auf uns, aber, so lernen wir: „Babypischi ist steril.“ Aha.

Theorie und Praxis X: Mit unseren Kursen gehören wir jetzt also zur Fraktion der spätgebärenden Frühförderungs-Eltern. Dass ich mal so etwas tun würde! Spießig fand ich das, vielleicht auch übertrieben. Und jetzt? Egal, Hauptsache Karl hat seinen Spaß.

Theorie und Praxis XI: Alles für das Kind, natürlich. Aber muss es immer „Bio“ sein, unbedingt pädagogisch wertvoll, immer korrekt? Oder tut es nicht auch mal der Strampler aus dem Discounter, die No-Name-Windel, Plastikspielzeug mit ein klitzekleinesbisschen Weichmacher? Ich erwische mich dabei, wie ich, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Babydecke („100 Prozent Schurwolle aus kontrolliert ökologischer Tierhaltung“) im Wert des monatlichen Kindergeldes kaufe, sündhaft teure Wolle-Seide-Bodys, die gerade mal zwei Monate lang passen werden (der Winter wird sicher kalt!). Gegessen und getrunken wird mir nur Bio. Zucker? Kommt mir nicht ins Haus.

Mitte November: Langsam wird der Gedanke an das Danach präsenter. Was wird nach der Elternzeit? Wann fange ich wieder an zu arbeiten? In welcher Kita bekommen wir einen Platz für Karl? Bekommen wir überhaupt einen? Die Einrichtungen in unserer Umgebung haben alle übervolle Wartelisten. Vielleicht sollte ich doch mal Kuchen vorbeibringen? Ich verschiebe das Thema auf Januar.

Theorie und Praxis XII: „Länger als ein Jahr halte ich es nicht zu Hause aus, dann komme ich wieder arbeiten, allerallerspätestens!“ Das war vor einem Jahr. Und jetzt? Ich liebe mein Leben als – Achtung – Hausfrau und Mutter. Bin das noch ich?

11.12.13: Der erste Zahn ist da! Ich kann mich gerade noch zurückhalten, dazu ein Facebook-Posting abzulassen. Nachdem Karl in Sydney bis zu sechs Stunden durchschlief, werden die Nächte in diesen Wochen wieder kürzer. Alle paar Stunden wacht er auf und schreit. Mittlerweile können wir die Schreie unterscheiden: Es gibt ein Hunger-Schreien, ein Hose-voll-Schreien, ein Albtraum-Schreien, ein Schmerz-Schreien. In letzter Zeit häuft sich das Schmerz-Schreien. Ich bin doch keine Profisupermutti, ich fühle mich hilflos. Was kann ich tun, um meinem Baby das Zahnen zu erleichtern?

Heiligabend 2013: Das erste Weihnachten als richtige kleine Familie. Unter dem Tannenbaum liegen die Geschenke aus dem Spielwarengeschäft, im Wohnzimmer steht eine Krippe von Playmobil, es laufen „Weihnachtslieder für Kinder“. Wir überlegen ernsthaft, in den Kindergottesdienst zu gehen. Dabei war ich seit Jahren nicht in der Kirche. Wir wollen ein schönes Fest für Karl. Wir kochen ihm seinen Lieblingsbrei und gehen früh ins Bett.

Fazit: Mit dem zurückliegenden Jahr hat definitiv ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Ich bin Mutter, wir sind Eltern. Unsere Eltern sind Großeltern, unsere Brüder Onkel. Jeder in der Familie hat jetzt eine neue, zusätzliche Rolle. Die kann man vorher nicht theoretisch üben. In der Praxis ist alles ganz anders als man denkt. Karl ist jetzt siebeneinhalb Monate alt. Er kann sitzen und kurze Strecken krabbeln. Ich kann mir mein Leben nicht mehr ohne ihn vorstellen. Nicht ohne diese tiefe, bedingungslose, ewige Liebe, die es nur zwischen Eltern und Kindern gibt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sage: Es ist das Beste, was mir je passiert ist. Silvester wird es Champagner geben. Vermutlich mehr als ein halbes Glas. Er wird fantastisch schmecken, besser noch als letztes Mal.

Der Erlebnisbericht erschien in der Berliner Morgenpost.