Wie es war: Im Dezember 2006 wurde im Zoologischen Garten Berlin ein kleiner Eisbär namens Knut geboren, dessen Leben und Tod die Welt bewegte.
Es ist ein trüber, grauer Nachmittag im Jahr 2006, der Tag vor Nikolaus. Der Deutsche Wetterdienst misst zwölf Grad in Berlin, es ist zu warm für Dezember. Die Bäume im Zoologischen Garten sind kahl, die wenigen Blätter wirken farblos. Sie sind nass vom Regen. In einer engen Steinhöhle mit Gitter zum kopfsteingepflasterten Hof, der zwischen Malaien- und Eisbärengehege gelegen ist, wird eine große weiße Eisbärin immer unruhiger.
Die 20 Jahre alte Tosca hat seit ihrer Zeit im Staatszirkus der DDR die Angewohnheit, mit dem Kopf hin und her zu wackeln. Eine Verhaltensstörung. Links, rechts, links, rechts. Aber diesmal ist etwas anders. Tosca bewegt sich seltsam und schnaubt laut aus. Ihr Atem dringt in sichtbaren Wolken aus der Höhle durch die Gitterstäbe auf den Hof.
Acht Monate sind vergangen, seit das 13 Jahre alte Eisbärmännchen Lars die in Kanada geborene Tosca gedeckt hat. Die Tragezeit ist nun um. Seit drei Tagen lebt Tosca nicht mehr im Außengehege, sondern allein in der wenige Meter entfernten Höhle mit der niedrigen Decke.
Auf dem Boden liegt frisches Stroh. Die Eisbärin legt ihren Kopf darauf, steht auf, setzt sich wieder. Es ist soweit. Thomas Dörflein (43), Tierpfleger im Bärenrevier, geht zum Telefon, das an der Wand in seinem kleinen Büro auf dem Hof hängt, sucht mit dem Zeigefinger die richtige Durchwahl auf der Telefonliste und ruft den Tierarzt an. Es ist 15 Uhr.
In den vergangenen Tagen hat Thomas Dörflein sich auf genau diesen Moment vorbereitet. Büro und Nebenraum hat er zu einer provisorischen Frühgeborenenstation umgebaut. In freier Natur graben sich Eisbärinnen vor der Geburt eine Schneehöhle, die gut isoliert und trotz kalter Außentemperaturen schön warm ist. Deshalb steht im Nebenraum nun ein Brutkasten aus Glas, mit einer Stoffdecke darin und einer Lufttemperatur um die 36 Grad. Daneben hat Thomas Dörflein, der schon seit 24 Jahren im Zoo arbeitet, ein Bett aufgestellt. 90 Zentimeter breit, nicht gerade komfortabel für den großen, sportlichen Mann mit den langen dunklen, gelockten Haaren und dem dichten Vollbart. Doch es genügt ihm. Er hat eine große Aufgabe. Diesmal soll alles gut gehen. Seiner Freundin Daniela hat er gesagt, dass sie sich in den nächsten Tagen kaum sehen werden. Selbst seine Gitarre hat er mitgenommen.
Tierarzt André Schüle (32) ist wenigen Minuten da. Er und Thomas Dörflein bleiben auf dem Hof, in sicherer Distanz zur Wurfhöhle. Sie wollen die Eisbärin nicht stören. Im Vorjahr hatte Tosca schon einmal ein Junges geboren. Doch die Eisbärin kümmerte sich nicht darum, das Kleine starb nach wenigen Stunden. Bei Wildtieren ist das nichts Außergewöhnliches. Manchmal brauchen Eisbären mehrere Geburten, um ihren Mutterinstinkt zu spüren und die Jungen zu säugen. Vier Geburten hat Tosca schon hinter sich. Keines ihrer Jungen überlebte. Bis jetzt.
Am Telefon hatte Thomas Dörflein zu Schüle gesagt: „Ich glaube, es ist schon passiert.“ Doch jetzt können sie nichts erkennen. Die beiden Männer rechnen mit dem Schlimmsten.
Dann sehen sie es doch. Die Eisbärin ist ein Stück in ihre Richtung gekommen, sitzt nun vor der Wurfhöhle, direkt am Gitter. Den Rücken hat sie an die Wand gelehnt. Auf ihrem Bauch liegt ein winziges Eisbärbaby. Es ist gerade mal so groß wie eine menschliche Hand, noch ohne Fell, rosafarben, nackt, taub und blind. Tosca wirkt unbeteiligt, sie versucht nicht einmal, ihr Junges zu säugen. Dann steht sie auf, wiegt den Kopf hin und her. Der Pfleger und der Tierarzt halten den Atem an. Kneifen vor Anstrengung die Augen zusammen. Und erkennen etwas. Hinter der Eisbärin, auf dem nackten Steinboden vor der Wurfhöhle, liegt ein weiterer kleiner Körper. Tosca hat zwei Junge auf die Welt gebracht.
Thomas Dörflein und André Schüle sind aufgeregt. Aber sie zwingen sich dazu, Ruhe zu bewahren. „Wir dürfen nichts überstürzen“, sagt der Tierarzt. Die Männer setzen sich wieder und beobachten die Szene.
Es wird dunkel. Eine Laterne wirft fahles Licht über den Hof. Mit der Nacht kommt auch die Kälte. Nach fünf Stunden, es ist jetzt kurz nach acht, steht Tosca auf einmal auf. Sie hält ein Junges im Maul, das kleinere, und trägt es vor der Höhle auf und ab. Plötzlich fällt das Junge auf den Boden. Tosca reagiert nicht. Sie lässt den kleinen Körper einfach liegen.
André Schüle erkennt, dass die Kleinen zwar schwach sind, aber leben. Er überlegt, ob er und Dörflein eingreifen sollen. Oder ob Tosca allein bleiben soll mit ihren Jungen, quasi zum Üben. Dann wäre die Wahrscheinlichkeit höher, dass bei der nächsten Geburt alles klappt. Eine schwierige Entscheidung. Der Arzt bespricht sich mit dem Bärenpfleger. „Die Jungen wirken kräftig, sie haben eine Chance zu überleben“, sagt er. Die Aufzucht von Hand könnte funktionieren.
Thomas Dörflein ist es dann, der den entscheidenden Schritt wagt. Er nimmt sich eine lange Eisenstange, steckt sie durch das Gitter und versucht vorsichtig, das erste Junge zu sich zu schieben. Es funktioniert. Auch das zweite, größere Junge, kann er durch die Gitterstäbe fassen. Die Bärin lässt ihn machen. Die Männer legen die Eisbärbabys in den Brutkasten. Der Tierarzt spritzt ihnen zur Stärkung des Immunsystems Medikamente und Vitamine und desinfiziert die Nabel. Die natürliche Verbindung zu ihrer Mutter Tosca ist gekappt. Die neue Beziehung zu den Menschen hat begonnen. Thomas Dörflein übernimmt Toscas Rolle: Er füttert die Tiere, kocht die ersten Fläschchen ab. Alles, womit die Jungen in Kontakt kommen, muss steril sein, denn die Gefahr einer Infektion ist groß. Und die könnte tödlich enden. Der Pfleger und der Tierarzt dürfen die beiden Eisbärbabys nur mit Latexhandschuhen berühren. Denn die Schneehöhlen, in der Eisbärjunge normalerweise ihre ersten Tage verbringen, sind extrem keimarm. Dieses Milieu versuchen die Männer im Zoologischen Garten nachzuahmen.
Am selben Abend, gegen zehn Uhr, nimmt Thomas Dörflein das erste Eisbärbaby aus dem Brutkasten. Er hat Milchpulver für Hundewelpen mit kochendem Wasser übergossen, angerührt und etwas abkühlen lassen. Er setzt den winzigen Nuckel an – das Junge trinkt. Thomas Dörflein lächelt. In diesem Moment ist der sonst so zähe, manchmal etwas unnahbar wirkende zweifache Vater gerührt. Er sitzt neben dem Brutkasten und gibt dem winzigen Lebewesen das Fläschchen.
Es ist nach Mitternacht, als die Flasche leer und der kleine Eisbär satt ist. Es ist das Junge, welches die Mutter nach der Geburt auf dem Schoß hielt. Es ist das kleinere von beiden. Noch ahnt niemand, dass in wenigen Wochen die ganze Welt von ihm sprechen wird.
Dörflein nennt die beiden Geschwister ab sofort „Groß“ und „Klein“. So steht es auch in den ersten Gesundheitsprotokollen, die er täglich schreiben muss. „Klein“ wiegt trotz seiner zarten Erscheinung etwas mehr als „Groß“, nämlich 810 Gramm, sein Bruder 780 Gramm. Ab 650 Gramm haben Eisbärbabys gute Überlebenschancen, deshalb sind Dörflein und Schüle optimistisch. Auch „Groß“ trinkt nach ein paar Versuchen. Ab jetzt brauchen die beiden Kleinen alle zwei Stunden Nahrung.
Die ersten Nächte verlaufen für Thomas Dörflein wie in Trance. Er gibt den Jungen Milch, kocht anschließend die Fläschchen aus. Dann legt er sich nebenan auf sein Bett, stellt den Wecker eine Stunde weiter und macht die Augen zu. Er schläft ein bisschen, bis es klingelt, bereitet die Welpenmilch zu, füllt sie in die Fläschchen, zieht sich die Latexhandschuhe über, holt die Jungen aus dem Brutkasten, eines nach dem anderen, gibt ihnen die Flasche, legt sie vorsichtig zurück. Spült die Fläschchen wieder aus, kocht sie ab, stellt sie zum Trocknen. Legt sich wieder hin. Bis die Eisbärbabys wieder nach ihm rufen. Es ist ein hohes schrilles Schreien.
Dörflein verliert das Gefühl für Tageszeiten. Er funktioniert einfach. Für die beiden Kleinen. Es ist anders als nach der Geburt seiner inzwischen erwachsenen Tochter und der seines Sohnes. Er muss rund um die Uhr für die beiden Eisbärbabys da sein, er allein ist für sie verantwortlich. Tosca, die Mutter, ist längst wieder bei Lars im Gehege.
Der Pfleger lebt jetzt im Zoo. Er braucht nicht viel. Schlaf, wann immer es geht. Er behält seine Sachen an, tagelang. Seine Freundin Daniela besucht ihn regelmäßig und bringt etwas zu essen mit. Dann sitzen die beiden ein paar Minuten zusammen, essen, reden ein bisschen.
Am vierten Tag verdecken dicke Wolken den Himmel über Berlin. Es wird langsam kälter, die Sonne kommt überhaupt nicht mehr heraus. „Groß“ ist krank. Er hat Fieber und leidet an einer Magen-Darm-Infektion. Er liegt im Brutkasten und bewegt sich kaum. Dörflein und Schüle haben nicht viel Zeit, sich Sorgen zu machen. Nach weniger als einer Stunde ist das Eisbärbaby tot. Seine Pfleger sind traurig. Und enttäuscht.
Doch es bleibt keine Zeit für Gefühle. Der andere Eisbär, „Klein“, braucht sie. Auch dieses Junge hat immer wieder heftige Fieberschübe. Einmal ist Schüle, der große, schlanke Mann mit dem kurzen rotblonden Haar, gerade mit Verwandten auf dem Weihnachtsmarkt, als Thomas Dörflein ihn auf dem Handy anruft. Er müsse sofort kommen. Der Tierarzt lädt seine Gäste ins Auto und fährt zum Zoo. Er ist unruhig, hat ein ungutes Gefühl. Und tatsächlich: „Klein“ hat hohes Fieber. Schüle misst 39,8 Grad. Lebensgefahr! Er schafft es das Fieber zu senken. „Klein“ bleibt am Leben.
Dörflein mischt jetzt Maissirup, den er im „Kaufhaus des Westens“ gekauft hat, unter die Welpenmilch. So wird die sämiger und besser verträglich für das Eisbärjunge. Auch Lebertran und Multivitaminpräparate kommen dazu. Eisbärenmilch besteht zu einem Drittel aus Fett, das wissen Schüle und Dörflein. Aber die Milch darf nicht verklumpen, denn das könnte den kleinen Darm des Eisbären verstopfen und seinen Tod bedeuten.
Doch „Klein“ übersteht alles. Er trinkt und wächst. Thomas Dörflein püriert nun Katzenfutter für den Kleinen. Anfangs ist dem Jungen der Brei nicht geheuer, er knurrt unzufrieden und verweigert das Fressen. Doch dann gewöhnt er sich an die neue Kost. „Klein“ wird immer größer und kräftiger. Nach drei Wochen öffnet sich sein erstes Auge. Eine Woche später das zweite. Ein schöner Moment für Thomas Dörflein. Er hat das Gefühl, der Kleine gebe ihm etwas zurück. Er erzählt später gerne von diesem Moment. Er lächelt dabei. Die noch graublauen Augen sehen ihn jetzt an. Dörflein fühlt sich wie ein richtiger Ersatz-Papa. Und er spürt seine Verantwortung.
Nach einem Monat bekommt „Klein“ einen Namen. Thomas Dörflein findet, der kleine weiße Eisbär sieht aus wie ein typischer Knut. Er kennt niemanden mit dem Namen Knut, aber das ist sein erster Impuls. Fortan heißt „Klein“ also Knut. Am 5. Januar 2007 überschreibt er das tägliche Gesundheitsprotokoll zum ersten Mal mit „Knut“.
Dörflein kann inzwischen nachts etwas länger schlafen. Knut verbringt die Nächte nach 44 Tagen im Brutkasten jetzt in einer Holzkiste, die mit einem Bettlaken und einem Bärenfell ausgekleidet ist. Er braucht nur noch alle paar Stunden Futter. Dafür holt der Tierpfleger jetzt regelmäßig seine Gitarre hervor. Er spielt Lieder von Elvis und klassische Stücke. Er hat das Gefühl, Knut gefällt die Musik. Einmal geht er abends, als Knut schläft, raus. Das erste Mal seit Wochen verlässt er das Zoogelände, und geht zum Einkaufen in einen Supermarkt. Er fühlt sich fremd, die vielen Menschen machen ihn irgendwie nervös. Und er kauft sich ganz viele leckere Sachen, er kommt sich vor wie ein Kind im Schlaraffenland.
Am 23. Januar 2007 erscheint in den Berliner Tageszeitungen das erste Foto von Knut. Der Zoo hatte es an die Presse gegeben. „Willkommen, kleiner Eisbär“, ist auf Seite 1 der Berliner Morgenpost zu lesen. „Knut, der kleine Eisbär“ oder „Das Berliner Bären-Wunder“ schreiben andere Zeitungen. Die Leser lieben den kleinen verstoßenen Eisbären, den per Hand aufgezogenen „Flaschenfritzen“ mit dem kuscheligen Fell und der niedlichen Schnauze. Er ist die gute Nachricht des Tages. Er ist süß und unschuldig. Die Menschen lächeln, wenn sie ihn sehen.
In den darauffolgenden Wochen erfahren Zeitungsleser deutschlandweit jedes Detail aus dem Leben des kleinen Eisbären. Dass Knut schon vier Kilo wiegt, täglich mit Babyöl eingerieben wird, wie und wo ihm Milchzähne wachsen, mit welchen Stofftieren, nämlich einem Hund und einem Eisbären, er am liebsten spielt.
Knut bekommt von der ganzen Aufregung nichts mit. Denn die Zoo-Leitung beschließt, ihn erst dann der Öffentlichkeit zu zeigen, wenn er groß genug ist und ein Gewicht von mindestens acht Kilogramm auf die Waage bringt. Bis dahin soll er, geschützt vor den Augen neugieriger Zoo-Besucher, in Ruhe aufwachsen. Denn Knut muss erst lernen, ein Eisbär zu sein.
Ende Januar fängt er an zu krabbeln. Wie ein Menschenbaby rutscht er auf den Vordertatzen vorwärts und zieht die Hinterbeine nach. Schüle und Dörflein legen Autofußmatten aus Gummi auf den Boden, damit Knut leichter vorwärts kommt. Der junge Tierarzt findet es faszinierend, diese Entwicklungsschritte so nah mitzuerleben. Er denkt viel an Knut, auch nach Feierabend. Er ist verlobt, hat aber noch keine Kinder. Manchmal ruft er spätabends noch einmal im Bärenrevier an, um zu fragen, ob alles okay ist.
Es ist alles okay. Mehr als das sogar. Knut wächst und lernt. Erst krabbelt er, dann fängt er an zu laufen. In freier Wildbahn zwingt die Eisbärenmutter ihre Jungen raus aus der warmen Höhle, obwohl es für kleine Eisbären nicht leicht ist, die Kälte zu ertragen. In Berlin ist es glücklicherweise nicht annähernd so kalt wie in der Arktis. Und so hat Knut Spaß am toben und spielen, drinnen wie draußen. Manchmal ärgert er seinen Pfleger, wenn der gerade nicht hinschaut. Dann beißt er ihm von hinten in die dicken Sohlen der grünen Gummistiefel.
Um ein richtiger Eisbär zu sein, muss Knut schwimmen lernen. Schüle und Dörflein wissen, dass kleine Eisbären gern den gesamten Kopf in jede Pfütze stecken, weil sie noch nicht wissen, was Wasser ist. Thomas Dörflein muss also mit Knut üben. Er füllt eine kleine Blechwanne mit Wasser. Er steckt seine Hand hinein und lässt einen gelben Plastikball auf der Wasseroberfläche schwimmen. Knut scheint skeptisch, ist aber auch interessiert an dem neuen Element. Tag für Tag üben der kleine Eisbär und sein Pfleger. Stück für Stück gewöhnt sich Knut an das Wasser. Dann geht es in das große Wasserbecken im Außengehege. Thomas Dörflein springt hinein und macht es vor: Kopf untertauchen, nur kurz, und wieder auftauchen, dabei laut und prustend ausatmen. Knut macht es ihm nach. Ende März kann der kleine Eisbär schon 15 Sekunden lang unter Wasser bleiben.
Jetzt toben Thomas Dörflein und Knut täglich im Außengehege. Dabei ist immer viel los, Tausende Besucher kommen nur, um den kleinen Eisbären zu sehen. Doch den stört das nicht. Er läuft und schwimmt mit seinem Pfleger um die Wette, spielt mit allem, was ihm vor die Tatzen kommt. Und wird immer größer und schwerer. Dörflein bekommt vom Raufen am ganzen Körper große Blaue Flecken. Obwohl er gut trainiert ist, hat er Muskelkater. Abends fällt er erschöpft ins Bett.
Nach einem der täglichen Auftritte Mitte April sind Knut-Fans besorgt: Der Eisbär ist nicht gut drauf, hat keine Lust zu spielen und versteckt sich. Der Zoo sagt die nächsten Shows ab. Dann die erleichternde Nachricht: Knut verliert nur seine Milchzähne und bekommt neue. Tierarzt André Schüle verabreicht ihm Antibiotika und Schmerzmittel. Angst um Knuts Leben hat er nicht mehr.
Thomas Dörflein wohnt deshalb wieder zu Hause. Doch die Zeiten, in denen er sich ganz normal durch die Stadt bewegen konnte, sind vorbei. Mehr noch, er erhält Berge von Liebesbriefen. Frauen, die ihn gesehen haben, schreiben, dass sie ihn bewundern, ihn heiraten wollen. Den Pfleger befremdet das. Er mag es nicht, wenn fremde Menschen ihm so distanzlos begegnen. Er wird zu Fernsehshows eingeladen, aber sagt ab. „Das ist nichts für mich“, sagt er. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit verleiht ihm den Berliner Verdienstorden.
Am Mittwoch feiert Knut seinen ersten Geburtstag. „Klein“ wiegt nun schon 120 Kilo, er ist ein Teenager. Und weil er jetzt so kräftig ist, ist er gefährlich für die Menschen. Thomas Dörflein darf nicht mehr mit ihm toben, denn er könnte ernsthaft verletzt werden. Er hat keine Angst, hält sich aber an die Vorschriften. Der Ziehvater lässt den Sohn gehen.
Und die Mutter? Tosca sieht aus, als wäre sie wieder trächtig. Noch kann man das nicht mit Sicherheit sagen. Aber es kann bald wieder losgehen. Die Bäume im Zoo wirken farblos, sind nass vom Regen. Zwischen Malaien- und Eisbärengehege ist in der Steinhöhle alles bereit.
Der Artikel erschien im Rahmen der Serie „Wie es war“ auf einer Doppelseite in der Berliner Morgenpost.