Drei Jahrzehnte nach seinem ersten Hit bringt Alex Christensen ein Album mit neu aufgelegten 90er-Jahre-Dance-Hits heraus. Im Frühjahr startet er seine Tour mit Live-Orchester in Hamburg.
1990 begann ein Jahrzehnt, dessen Musik Generationen prägen sollte. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung wurde in Manchester mit „Take That“ die erfolgreichste britische Boyband aller Zeiten gegründet, im schleswig-holsteinischen Wacken fand zum ersten Mal Europas größtes Metal-Festival statt – und in einer bescheidenden Ein-Zimmer-Wohnung in Barmbek entstand der Song „Ritmo de la Noche“. Geschrieben hat ihn Alex Christensen, gelernter Speditionskaufmann, DJ, Produzent. Für das von Verona Feldbusch eingesungene Stück erhielt der damals 23-Jährige seine erste Goldene Schallplatte. 1991 folgte mit dem Musikprojekt U96 der Hit „Das Boot“, der in Deutschland auf Platz 1 der Verkaufscharts landete. Spätestens jetzt kannte jeder Alex Christensen.
Die Neunziger Jahre seien der Soundtrack seiner Jugend, sagt der heute 52-Jährige. Ihnen hat er ein drittes Album gewidmet, das im November herauskam: „Classical 90s Dance 3“, eingespielt mit dem „The Berlin Orchestra“. Im Frühjahr 2020 geht es gemeinsam auf Deutschland-Tour, das große Eröffnungskonzert steigt am 22. April in der Barclaycard Arena in Hamburg.
Alex Christensen denkt gerne zurück an die Anfänge seiner Musikkarriere. „Eine unglaublich tolle Zeit. Die Mauer war gerade gefallen, der Osten keine Bedrohung mehr. Man spürte Aufbruchstimmung, so viel Optimismus, Lebensfreude und Tatendrang. Wir waren so herrlich sorglos, genossen einfach das Leben.“ Gerade und Ausbildung abgeschlossen, tourte er mit U96 kreuz und quer durch Osteuropa, sog die besondere Stimmung des Umbruchs in sich auf, so erzählt er es im Gespräch anlässlich der Vorstellung seines neuen Albums im Hard Rock Café an den Landungsbrücken. Was von damals blieb? „Mir ist bewusst, welche Freude Freiheit bringen kann. Welche Energie dadurch freigesetzt werden kann.“
Geboren in St. Georg wuchs Alex Christensen in Wilhelmsburg auf. In der Buddestraße ging er zur Schule. „Die verruchteste Schule aller Zeiten“ sei das damals gewesen, sagt er und lacht. Im Rückblick scheint ihm vieles – trotz zeitweiliger Angst vor prügelnden oder Pausenbrot klauenden Mitschülern – gar nicht so dramatisch. „Letztendlich hat mir diese Phase eine gewisse Street-Smartness gebracht.“
Sein Elternhaus war von den einfachen Verhältnissen und „unendlicher Liebe und Toleranz geprägt“. „Mir wurde bei jeder noch so schwachsinnigen Idee zugehört. Meine Eltern ließen zu, dass ich mich ausprobiere, so fühlte ich mich immer ernst genommen“, erinnert er sich. Der Vater habe damals in seiner Freizeit Gitarre in einer Band gespielt, besuchte Konzerte im legendären Star-Club und versuchte, seinem Sohn diese Leidenschaft nahe zu bringen. Doch als Linkshänder war dem das Gitarre lernen mit der Klampfe seines Vaters letztendlich zu kompliziert. Für ein eigenes Instrument fehlte das Geld.
Also lebte er sein Interesse für Musik auf andere Weise aus, tauschte Platten, bespielte Kassetten. Als Vertretung für seinen Nachbarn, einen Hochzeits-DJ, legte er zum ersten Mal auf. „Kam nicht so gut an“, erinnert sich Alex Christensen. „Das war holprig, aber sehr lehrreich. An dem Abend habe ich verstanden, dass ich als DJ für die Menschen da bin, nicht die Menschen für mich. Das sehe ich bis heute so: Ich kann zwar eine Haltung haben, aber ich muss die Menschen unterhalten.“
Mit 18 zog er in seine eigene Wohnung nach Barmbek. Und dann: „Das Boot“. „Der Song hat mich katapultmäßig in eine neue Welt geschossen“, erinnert er sich. In eine Welt „halbstarker DJs“, wie er sagt, die Welt der großen Bühnen, einer Art Glamour auch, Tausender Fans und Groupies in jedem Fall. Ein Mix aus großen Gefühlen, positiven wie negativen, sei auf ihn niedergeprasselt. Doch Alex Christensen blieb mit den Füßen auf dem Boden. „Man lernt. Praktisches wie Steuern zahlen, mit Geld umgehen. Darauf zu achten, wie man sich wo benimmt, an wen man sich hält.“ Geholfen habe ihm dabei die strikte Trennung zwischen Bühne und Privatleben. „Ich habe mich immer als zwei Personen gesehen: den Bühnen-Alex und den privaten Alex. So konnte ich die beiden Welten immer ganz gut trennen.“ Sein Freundeskreis sei heute noch nahezu derselbe wie damals, 1990. Er kehrte immer wieder zurück zu seinen Wurzeln.
Als DJ, Produzent, Songschreiber und Komponist arbeitete er schon mit Anastacia, Tom Jones, Sarah Brightman. Er produzierte Paul Ankas Album „Rock Swings“, Michael Boltons „Bolton Swings Sinatra“ und Helene Fischers Weihnachtsalbum, das mit dem Royal Philharmonic Orchestra in den Londoner Abbey Road Studios aufgenommen wurde. Für sein aktuelles Album hat er sich unter anderem Natasha Bedingfield, Maite Kelly und Eloy de Jong ins Studio geholt. Er ist, das zeigt seine Diskografie, vielseitig wie kaum ein anderer deutscher Musiker.
Er selbst findet: „Meine Vita ist wie ein Spielplatz, mal bin ich in der Sandkiste, dann wieder auf dem Klettergerüst oder an der Seilbahn. Ich probiere immer wieder neue Sachen aus. Meine Arbeit ist wie eine bunte Wundertüte.“ Sich ein Künstlerleben lang auf ein einziges Genre zu fokussieren? Nicht sein Ding. „Das mag töricht sein, aber es macht mir Spaß, ich kann es nicht ändern, so bin ich.“
Für das neu geschaffene Genre der „Orchestral Dance Music“ wird Alex Christensen nun ein 30 Musikerinnen und Musiker starkes Orchester mit auf Tournee nehmen. Er erfüllt sich damit einen Jugendtraum. „Wenn man so will, schließt sich ein Kreis: Begonnen habe ich mit Techno und Dance, dann Swingmusik produziert, mit Orchestern gearbeitet. Jetzt führe ich beides zusammen.“
In 13 Orten an 13 aufeinanderfolgenden Tagen auf der Bühne zu stehen, wenige Monate nach einer Knie-Operation, die er gerade hinter sich hat, sieht er nicht als herausragende Leistung. „Eine Supermarktverkäuferin arbeitet auch jeden Tag, sogar in Acht-Stunden-Schichten. Ich finde es vermessen, wenn Künstler behaupten, ihr Job sei anstrengender als andere. Das ist mir zu Diva-like“, sagt er. „Die Reiserei ist mühsam, aber ich fühle mich gesegnet, dass ich diesen Job machen kann. Wer das Künstlerleben anstrengend findet, soll sich einen anderen Job suchen.“
Was ihm lieber sei, Studioarbeit oder Live-Bühne? Er überlegt. „Lieber Live, das fordert mich mehr heraus, da muss ich mich aus meiner Komfortzone heraus bewegen.“ Das ist ihm wichtig: Dahin gehen, wo es weh tut, auch mal ein Risiko eingehen, bloß nicht einrosten. Es könne passieren, dass der Funke in einem Konzert nicht über springt, obwohl er alles gebe. „Dann gehe ich nach Hause und fühle mich leer“, sagt Alex Christensen. „Aber es gibt so viele gute Konzerte, bei denen mich die Reaktionen des Publikums schier umhauen, dann bin ich wirklich gerührt. Dieses Gefühl versuche ich zu bewahren.“
Denn wenn das letzte Lied gespielt und der Applaus vorbei ist, kann die Einsamkeit kommen. Diesen Moment versuchen nicht wenige in der Branche im Rausch zu betäuben oder mit endlosen Aftershow-Partys hinauszuzögern. „Es kann schon brutal sein, wenn man allein in sein kleines Hotelzimmer kommt und die Uhr weiter tickt, als wäre nichts gewesen.“ Diese Stille kann er zulassen. Zu Hause in Hamburg spiele dann die Familie die erste Geige. „Da sind andere Dinge wichtig. Das ist eine gute, gesunde, erdende Zeit“, findet er. „Man weiß nie, wie es weiter geht. Daran sollte man immer denken.“ Es macht einen großen Teil seines Charmes aus, dass Alex Christensen trotz seiner Welterfolge, trotz der mehr als 40 Millionen verkauften Tonträger und nach drei Jahrzehnten Bühnenerfahrung so bodenständig wirkt.
Während des Interviews läuft im Hintergrund „Gypsy Woman (La-Da-Dee)“ von seinem neuen Album, Linda Teodosiu singt: „La da dee la dee da, La da dee la dee da…“ Einer der großen Ohrwürmer der Neunziger, neu arrangiert von Alex Christensen. Er lauscht, schüttelt den Kopf, wie, um sich selbst zu disziplinieren. „Ich höre immer, was man noch besser machen könnte, im Kopf läuft immer die Analyse mit“, erklärt er. Musik ist seine große Liebe. Doch weil sie auch seine Arbeit ist, ist sie gleichzeitig Quälerei. „Genussvoll Musik hören zur Entspannung fällt mir schwer.“
Nach dem ersten Sprung über die Elbe damals Anfang der Neunziger, hat er es mittlerweile direkt an die Elbe, in ein Haus in Othmarschen geschafft, wo er mit seiner Frau, der Sängerin Nicole Safft und seinem 16-jährigen Sohn lebt.
Seinem 20-jährigen Ich würde er raten, „radikal alles anders zu machen“. „Ich habe viele Entscheidungen getroffen, die arrogant oder unwissend oder einfach doof waren“, findet er rückblickend. „Wenn mich jemand hätte beraten können, der sich so ausgekannt hätte wie ich jetzt, hätte mir das sehr geholfen. Ich hingegen wusste nicht, wem ich trauen kann. Damals konnte man nicht einfach googeln und sich alles Wissenswerte mal eben selbst aneignen. Da ging nur learning by doing.“
Seit drei Jahrzehnten ist er im Geschäft. Ans Aufhören denkt Alex Christensen aber noch lange nicht, er hat noch viel zu sagen. Gerade jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall. In einer Zeit, in der es neue Bedrohungen gibt, eine veränderte politische Weltlage. Alex Christensen macht sich Gedanken über all das. Es fehle ihm an Fröhlichkeit, sagt er. Mit seiner Musik möchte er an das Schöne in der Welt erinnern. An die Aufbruchstimmung und den Optimismus der Neunziger.