Interview, Magazin

„Wir bleiben zwei Alpha-Frauen“

Foto: NDR/ Manju Sawhney

Vor 50 Jahren lief der erste „Tatort“ im deutschen Fernsehen. Heute ist die Krimireihe für viele eine Institution, sie hat stets gute Einschaltquoten und Abrufzahlen in der Mediathek. Die Kommissare gehören zu den prominentesten Fernsehgesichtern des Landes. So auch Maria Furtwängler – die 53-Jährige spielt Charlotte Lindholm, eine der norddeutschen Ermittlerinnen. Vom LKA Hannover zur Polizeidirektion Göttingen versetzt, muss sie nun mit Anaïs Schmitz (Florence Kasumba, 43) zusammen arbeiten. Für ihren zweiten gemeinsamen Fall „Krieg im Kopf“ standen die beiden Top-Schauspielerinnen in Göttingen und Hamburg vor der Kamera. Ein Doppelinterview über Konkurrenz unter Kolleginnen, die Lust am Krimi und Hamburger Franzbrötchen.

Frau Furtwängler, Frau Kasumba, die Kommissarinnen, die Sie spielen, sind beide dominant und keinesfalls Teamplayer. Im aktuellen Fall geht ihre Konkurrenz sogar so weit, dass sie ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um nicht als vermeintlich Schwächere da zu stehen. Werden die beiden noch Freundinnen?

Kasumba: Ich sehe die Zukunft der beiden positiv und bin da total optimistisch. Die beiden lernen sich immer besser kennen. Anaïs schätzt die Arbeit der Kollegin. Auch wenn sie in „Krieg im Kopf“ noch nicht fähig ist, im Team zu arbeiten. Doch sie kann die Leistung der Kollegin anerkennen.

Furtwängler: Wir bleiben zwei Alpha-Frauen. Es wirkt für mich nicht so, als würden sie die engsten Freundinnen werden. Aber der Respekt wächst, auch vor dem, was die andere durchmacht. Da tragen auch die gemeinsamen Erfahrungen in „Krieg im Kopf“ bei, obwohl sie Schwierigkeiten haben, darüber miteinander zu reden. Die beiden Frauen nähern sich auch im darauffolgenden dritten Fall stückweise an, soviel kann verraten werden.

Wie ist das am Set, wenn Sie unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie eine Szene funktioniert?

Furtwängler: Wir kratzen uns die Augen aus – Bitch Fight… (lacht)

Kasumba: Nein, am Set ist es eigentlich total entspannt. Der Tag beginnt in der Maske. Da unterhalten wir uns oder wir frühstücken nebenbei…

Furtwängler: Ich bin immer ein bisschen neidisch, weil das bei Florence mit den Haaren einfach schneller geht als bei mir. Das ist echt gemein… (beide lachen)

Wäre ein rasierter Kopf für Sie eine Option, Frau Furtwängler?

Furtwängler(lacht): Das wäre natürlich eine tolle Option!

Kasumba: Also, um auf Ihre vorige Frage zurückzukommen: Mit Maria zu drehen ist immer schön. Meist haben wir vorher schon Kontakt gehabt, weil wir das Drehbuch zusammen durchgegangen sind oder einzelne Szenen besprochen haben, die vielleicht nicht auf Anhieb flutschen könnten beim Dreh. Am Set empfinde ich keine Konkurrenz. Im Gegenteil.

Furtwängler: Wir sind beide Profis und immer gut vorbereitet. Ich finde Drehen nur dann anstrengend, wenn jemand nicht gut vorbereitet ist und seinen Job nicht ernst nimmt. Es gibt Kollegen, die fast schon prahlen damit, dass sie den Text gerade eben erst im Taxi gelernt haben. Und ihn dann natürlich nicht können. Ich bin der Meinung, wir werden weiß Gott gut genug bezahlt. Dazu sollte es Berufsethos sein, gut vorbereitet am Set zu erscheinen.

Kasumba: Jeder hat ja sein eigenes Lerntempo. Für mich sind zum Beispiel manche Begriffe, gerade was die Polizeiarbeit betrifft, neu. Die habe ich nicht nach einmal lesen im Kopf, sondern muss mich länger mit ihnen beschäftigen. Wenn dann Dialoge geändert werden, was häufig vorkommt, bin ich nicht so schnell. Das macht Maria einfach super. Sie bringt für mich Ruhe hinein, das hilft.

Sie haben beide auch Bühnenerfahrung – was ist Ihnen lieber: Im Theater oder Musical nur eine einzige Chance zu haben, eine Szene zu spielen, oder so lange zu drehen, bis alles passt?

Furtwängler: Beides hat seine großen Vor- und Nachteile. Und beides macht unglaublich Spaß. Live entstehen durch die Energie und Anspannung und die Abhängigkeit von der Reaktion des Publikums besondere Dinge. Wenn das Publikum mitgeht, beflügelt mich das. Wenn ich in eine Leere spiele, zieht mich das runter. Zwar kann man in dem Moment nichts ändern, es aber am nächsten Abend besser oder anders machen, etwas neues ausprobieren. Nach dem Drehen sitze ich hingegen abends oft zuhause und ärgere mich, weil ich manches lieber anders gespielt hätte. Aber ich weiß, ich werde nie wieder die Chance haben es auszuprobieren. Trotzdem drehe ich sehr gerne und empfinde das als eine intime Arbeit. Bühne oder Film – da sind auch unterschiedliche Anforderungen ans Schauspiel gefragt. Im Film kann ich innerlich spielen, kleine, zarte Sachen machen, die auf der Bühne nicht funktionieren.

Kasumba: Mir fällt Film leichter, man spielt kleiner, direkter. Im Theater haben wir eine längere Vorbereitungszeit, proben ein Stück sechs Wochen lang. Da weiß man irgendwann, was man macht, das ist dann einfach drin. Die Geschichte wird chronologisch vom Anfang bis zum Ende erzählt. Im Film ist das anders, da wird beim Drehen zwischen den Szenen gesprungen, man muss immer wissen, wo die Figur gerade steht.

Furtwängler: Auch da müssen wir gut vorbereitet sein, es ist nicht genug Zeit, um groß drauf einzugehen, an welcher Stelle der Story wir uns gerade befinden, wo welcher Charakter gerade steht.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Ihre eigenen Filme zum ersten Mal anschauen?

Kasumba: Ich gucke mir alle meine Filme immer supergerne an. „Black Panther“ habe ich mir vier Mal im Kino angesehen. Da hatten wir viel vor Blue- und Greenscreen gedreht und es war toll, dann den fertigen Film zu sehen. Meist lese ich ein Drehbuch nur einmal komplett und blende beim Lernen dann alles aus, was mich nicht betrifft. Bei meinen ersten beiden Tatorten gab es viele Szenen, die Maria und ich getrennt gedreht haben. Das Endergebnis zu sehen ist richtig schön, das kann ich genießen. Den fertigen „Tatort“ sehe ich mir gerne mit meiner Familie an.

Furtwängler: Dürfen deine beiden Kinder denn schon mitgucken?

Kasumba: Sie müssen sogar (lacht). Sie sind zwar erst zehn und 13 Jahre alt, vielleicht etwas jung für einen Krimi, aber im „Tatort“ geht es ja eher um die Aufklärung des Falls.

Furtwängler: Meine Tochter ist zwar erwachsen, kann sich Krimis aber nicht angucken. Bei unserem letzten „Tatort“ musste sie rauslaufen, weil sie es so schlimm fand.

Mir geht es so, dass ich mich, wenn ich einen Film zum ersten mal sehe, vor allem über äußerliche Dinge ärgere. Da bin ich abgelenkt davon, wie ich gucke oder mich bewege und kann das schwer ablegen. Szenen werden rausgeschnitten und ich denke mir: „Warum gerade dieser Moment von mir – das war doch eine Perle der Schauspielkunst?“ (lacht). Wenn ich das einmal überwunden habe, kann ich den Film beim zweiten Mal objektiver aufnehmen.

In Ihrem neuen „Tatort“ geht es auch um neuartige Waffensysteme, die das menschliche Gehirn manipulieren und zum Beispiel schmerzfrei machen kann. Wäre eine solche Technologie für Sie in der Realität Fluch oder Segen?

Furtwängler: Die große Frage ist ja, was passiert, wenn die Technologie ausgeschaltet wird? In der Realität gibt es ja längst ein Riesenproblem. Kriegsveteranen kommen zurück aus dem Einsatz und sind traumatisiert, möglicherweise süchtig nach Opioiden usw. Ob es uns gefällt oder nicht, in diese Richtung wird geforscht. Auch wenn das, was wir im „Tatort“ erzählen nicht wahrhaftig ist, so ist es doch plausibel. Die Frage, die unser Film aufwirft, ist: Wie werden wir damit in Zukunft umgehen?

Kasumba: Für mich könnte ich mir nicht vorstellen, eine solche Möglichkeit zu nutzen, ich behalte gerne die Kontrolle und möchte alles spüren, auch Traurigkeit, Wut oder Angst. Wenn ich an Soldaten im Kriegseinsatz denke, könnte ich verstehen, wenn Menschen diese Hilfe in Anspruch nehmen. Deswegen: beides, Fluch und Segen.

Der „Tatort“ hat auch in seinem 50. Jahr gute Einschaltquoten und Abrufzahlen in der Mediathek. Warum gucken wir uns so gerne Krimis an?

Kasumba: Es ist interessant, wie Polizisten ermitteln und davon wird ein Ausschnitt gezeigt. Ich persönlich mag das Genre, am „Tatort“ mag ich den ruhigen Ablauf, das Mitfiebern.

Furtwängler: Das Rätselraten ist sicherlich ein wichtiger Erfolgsfaktor. Auch die Tatsache, dass man sich beim „Tatort“ darauf verlassen kann, dass die Ermittler den Fall am Ende lösen, das Böse dingfest machen. Am Ende eines unheimlichen, grausigen Ausflugs steht immer das Recht, das gewinnt. Ich glaube, das ist etwas, was den Zuschauern eine gewisse Befriedigung gibt.

Kasumba: Ich gucke jeden Sonntag und bin oft überrascht von den Themen, die gesetzt werden. Das führt dazu, dass ich über Dinge nachdenke, mit denen ich mich sonst nicht beschäftigt hätte.

Als prominente Person polarisiert man. Viele Künstlerinnen und Künstler erleben in den Sozialen Medien Unterstützung, aber auch Ablehnung, Beleidigungen bis hin zu Hass. Haben Sie sich eine dicke Haut zugelegt oder wie erleben Sie das?

Furtwängler: Ja, das habe ich, tatsächlich war ich auch in analogen Zeiten bereits punktuellen Anfeindungen ausgesetzt. Und je jünger und unerfahrener man ist, desto verletzbarer ist man auch. Tatsächlich erfahre ich aber auch mehr und mehr Zuspruch für meine Arbeit, vor der Kamera aber auch als Aktivistin.

Frau Furtwängler, Sie engagieren sich schon lange für Bildungsprojekte, für Frauen und Diversität. Wie kam es dazu, warum liegen Ihnen diese Themen am Herzen?

Furtwängler: Die naheliegende Antwort trifft zu: Weil ich selbst eine Frau bin und zunehmend wacher auf die Strukturen geachtet habe, die Abwertung von Frauen zugrunde liegen. Und natürlich ist die Gesellschaft insgesamt deutlich wacher und sensibler geworden, Fortschritt erfolgt nicht länger mit Trippelschritten.

Frau Kasumba, Sie haben in Hamburg bereits Musical gespielt und während der Zeit hier gelebt. Was verbinden Sie mit der Stadt?

Kasumba: 2002 kam ich für „Mamma Mia“ nach Hamburg. Ich wohnte in Altona und konnte zu Fuß zum Operettenhaus laufen. 2007 war ich für „Der König der Löwen“ in der Hansestadt und habe in Innenalster-Nähe gewohnt. Damals war mein Sohn gerade geboren und ich habe die täglichen Spaziergänge um die Alster genossen. Heute komme ich immer wieder für Termine nach Hamburg und meine erste Station ist immer der Hauptbahnhof. Ich mag die internationale Atmosphäre und die Hamburger Mundart. Alles ist leicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und ich verlasse die Stadt nie ohne Franzbrötchen.

Und was verbinden Sie mit dem Norden, Frau Furtwängler?

Furtwängler: Die Liebe zu Klarheit, Wind und Wetter und auch jene Art, die im Süden eher als spröde, im Norden als fein bewertet wird.

Wenn Sie beide frei wählen könnten: Welche Rolle würden Sie gerne mal spielen?

Kasumba: In meiner Vita fehlen noch Nonne, Sozialarbeiterin, Anwältin, Flugbegleiterin, Krankenschwester und – weil es sehr action-lastig ist – Mitglied einer Spezialeinheit. Solange ich nicht im Wasser, in der Luft, im Dschungel, in den Bergen, im Schnee oder auf Pferden arbeiten muss, bin ich da ganz flexibel.

Furtwängler: Die weibliche Hauptrolle in einem Remake von Citizen Kane.