Report

Klaviermanufaktur: Klang von Weltrang

Das Familienunternehmen Steingraeber & Söhne fertigt seit 1852 Flügel und Klaviere. Ein Besuch in Bayreuth.

Als er an den Gralsglocken steht, scheint der gesamte Saal zu vibrieren. Udo Schmidt-Steingraeber schlägt die langen, vertikal aufgezogenen Saiten des Instruments: C – G – A – E in tiefstem Bass, die vier Töne des Glockengeläuts in Wagners „Parsifal“. Er dreht sich langsam um, wie beseelt vom Klang. In diesem Moment passt Udo Schmidt-Steingraeber perfekt in diese Kulisse. Alles um ihn herum atmet Geschichte: das Haus, das Instrument, die Werkstatt nebenan.

Das Haus in der Friedrichstraße ist eines der wenigen weitgehend original erhaltenen Rokokobauten in Bayreuth. Seit 1852 fertigt „Steingraeber & Söhne“ hier Pianos und Flügel. Gegründet worden war der Be­trieb bereits in den 1820er Jahren, damals noch nahe Weimar in Thüringen. Erst die zweite Generation ließ sich in Bayreuth nieder.

Das Instrument, das Udo Schmidt-Steingraeber gerade vorgeführt hat, ist eine Replik der Erfindung seines Urgroßonkels Eduard Steingraeber. 1881 hatte Richard Wagner den Klavierbauer mit der Konstruktion eines solchen Instruments beauftragt. Vier Glocken, 20 Töne tiefer als die tiefste Glocke des Wiener Stephansdoms, sollte es produzieren. Heraus kam das Gralsglockenklavier, dessen Replik nun an Opernhäuser weltweit vermietet wird.

Die Werkstatt ist eine von nur etwa zehn Manufakturen weltweit, die Klaviere und Flügel auf Spitzenniveau in Handarbeit baut.

Udo Schmidt-Steingraeber ist in Manufak­tur und Museum zwischen Handwerkern und Künstlern aufgewachsen. An wertvol­len historischen Instrumenten wie dem berühmten Liszt-Flügel von 1873 im Roko­kosaal seines Elternhauses lernte er Klavierspielen. Er studierte Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften, Betriebswirtschaft und Jura in München. Allerdings verfolgte er nur Jura bis zum Schluss. Für ihn „eine Denkform, die in jeder Lebenslage eine Hilfe sein kann“. Probleme versuche ein Jurist nicht zu lösen, sondern sie zunächst in viele kleine Probleme zu unterteilen. „Irgendwann ist das ursprüngliche Hauptproblem so atomisiert, dass es einfach zu lösen ist.“ Udo Schmidt-Steingraeber lacht. Seine Frau ist Volljuristin und arbeitet als Rechtsanwältin, hilft aber im Unternehmen, wann immer sie gebraucht wird. Auch die Kinder, Sohn Alban, 22, und Tochter Fanny, 19, vertreten den Familienbetrieb bereits auf Messen.

Udo Schmidt-Steingraeber führt das Geschäft in sechster Generation, 1980 übernahm er es von seinen Eltern. Damals steckte er gerade in den Vorbereitungen für das zweite juristische Staatsexamen. Sein Plan war, anschließend zu den „Literaten in der Jurisprudenz – von Goethe bis Handke“ zu promovieren. Doch dann starb sein Vater und er musste zurück nach Bayreuth.

Er selbst bezeichnet sich heute als „Schmal­spurjurist und eine Mischung aus Handwerker, Klavierliebhaber und Hausmeister“. Als diese wirbelt er durch die verzweigten Räumlichkeiten. Das Motto der Manu­faktur: „Dem echten Instrumentenbauer dürfen Maschinen nur assistieren.“ Die 35 Mitarbeiter arbeiten zum Teil seit Jahrzehnten im Betrieb. Schmidt-Steingraeber trommelt mit den Fingerknöcheln auf das Holz eines gerade fertiggestellten Resonanzbodens, horcht, pudert Vogelsand da­rauf. Mit einem Hammer klopft er den Steg ab. „Dort, wo sich der Sand sammelt“, erklärt er, „muss noch gehobelt werden.“ Das Holz des Resonanzbodens sei mindestens 200 Jahre lang windstill in 1000 Metern Höhe gewachsen: Fichte aus dem Vorarlberg und dem Salzburger Land.

Obwohl er von morgens bis abends mit den Musikinstrumenten zu tun hat, wird Udo Schmidt-Steingraeber dieser nicht überdrüssig. Im Gegenteil: Er führt gerne durch die Werkstätten. Hier werden gerade Gussplatten für Flügel bearbeitet, dort Hammersätze intoniert. Es wird justiert und reguliert. „Klang ist ein ganz großes Thema“, ruft er und breitet theatralisch die Arme aus. „Hier im Intoniersaal wird aus dem Instrument herausgeholt, was Mechaniker, Schreiner und Saitenspinner vorbereitet haben.“

Der Firmenchef kennt jedes Detail des Pianobaus. „Der Filz der Klavierhammer stammt von australischen Schafen – die Haare der europäischen Artgenossen wären zu dick zum Filzen.“ Mindestens 17.000 Stiche mit der Nadel in die 88 Hämmerchen seien nötig für den perfekten Klang. Und so dauert die Fertigung eines Steingraeber-Flügels acht bis 14 Monate. Acht Mitarbeiter bauen an einem Instrument, allein die Mechanik besteht aus etwa 6500 Einzelteilen. Ab 25.000 Euro kostet am Ende ein Piano, ein Flügel mindestens 60.000 Euro, nach oben gibt es preislich keine Grenzen.

Der Klavierbau ist ein hartes Geschäft. Während in Deutschland zum Ende des 19. Jahrhunderts noch um die 250.000 Kla­viere im Jahr produziert wurden, sind es aktuell noch knapp 6000. „Steingraeber & Söhne“ verkauft im Jahr etwa 60 bis 70 Flügel und 50 bis 60 Klaviere. Vergleichsweise kleine Stückzahlen. Denn nach Udo Schmidt-Steingraebers Überzeugung sind für ein lebendiges Instrument gute Materialien und meisterliche Handarbeit entscheidend.

Diese Liebe zum Detail zeigt sich auch in der Schatzkammer des Hauses. Im Keller der Werkstatt, in der Feuchtkammer der Furniererei, lagern die Kostbarkeiten der Manufaktur. Udo Schmidt-Steingraeber saugt die nach feuchtem Holz riechende Luft ein und zieht behutsam ein paar dünne Platten aus dem Regal. Er streicht über das dunkelbraun gemaserte Edelholz: „Französischer Nussbaum!“ Er strahlt mit fast kindlich wirkender Begeisterung. „Oder hier“, er nimmt ein anderes Stück, „ost­indi­scher Palisander!“ Riecht an dem fein gebogenen Furnier. Deutet zu den Regalen: „Vogelaugenahorn, Rosenholz, Thuya, Wurzelnussbaum, Pyramidenmahagoni, Amboina!“ Viele der Hölzer kommen von weit her, manches wird nur äußerst selten ver­wendet. Udo Schmidt- Steingraeber zeigt ein hellgelbes Zitronenholz, das extra aus Westindien für einen Flügel importiert wurde. Bei „Steingraeber & Söhne“ wird jeder Wunsch umgesetzt, solange er dem Klang nicht schadet. So wurden für einen Kunden aus Russland kürzlich alle Metall­teile eines Flügels vergoldet, auch die, die im Inneren des Instruments niemand sehen kann.

Die Stadt hinter den Werkstattfenstern nennt Udo Schmidt-Steingraeber „schizo­phren“: Wenige Wochen im Jahr herrscht in Bayreuth Ausnahmezustand, Gäste aus aller Welt besuchen die Bayreuther Festspiele.

„Doch dann folgt der 29. August, der Tag nach der letzten Vorstellung. Die Stadt entleert sich, kleine Restaurants schließen, das Leben wie eingefroren.“ Udo Schmidt­Steingraeber macht eine ausschweifende Armbewegung, reißt dramatisch die Augen auf und flüstert: „Plötzlich: nichts“. Er sackt in sich zusammen, zuckt mit den Schultern. „Das normale Leben, das dann wieder beginnt, ist reichlich provinziell.“

Und trotzdem liebt er seine Heimat, die Nähe zu den Künstlern. Er versucht, über das gesamte Jahr etwas zum kulturellen Leben Bayreuths beizutragen, veranstaltet Konzerte, betreibt ein kleines Hoftheater. Und wenn ihm nach Ruhe ist, setzt er sich selbst an eines der Instrumente und spielt.

Der Report erschien im Rotary Magazin.