Professur in der Schweiz, Vorträge in den USA, dazwischen heim zur Lebensgefährtin nach Berlin: Sie lebte ein Leben auf der Überholspur – bis ein Burn-out sie ausbremste. Eine Begegnung mit Miriam Meckel.
Bei YouTube gibt es einen Videoschnipsel aus der Sendung „3 nach 9“, in dem Miriam Meckel von ihrem Burn-out erzählt. Sie sitzt da, blondes kinnlanges Haar, weiße Bluse, sie ist sehr dünn, sieht fast zerbrechlich aus. Zerbrechlich, aber kontrolliert. Ihre Hände liegen ruhig übereinander, der Rücken durchgestreckt. Dann spricht sie von den Vorzeichen des Zusammenbruchs, die sie möglicherweise nicht ernst genug nahm. Ein Hinweis wird eingeblendet: „Miriam Meckel – arbeitet auch, wenn sie Fieber hat“.
So skurril die Zeile klingt, es steckt viel Wahrheit darin. Auf unser Treffen musste ich sechs Monate warten. Miriam Meckel hatte im wahrsten Sinne gearbeitet, bis der Arzt kam. Sie brauchte lange, um sich zu erholen und wieder Termine wahrnehmen zu können.
Für unseren Spaziergang hat sie sich den Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte ausgesucht. Ausgerechnet ein Ort des Gedenkens an die Toten, um über den Weg zurück ins Leben zu sprechen. In ihrem aktuellen Buch „Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burn-out“ schreibt sie: „Menschen gehen spazieren, um zu sprechen. Manchmal wollen sie sich auch einfach nur unterhalten. Aber das wahre, das wirkliche Sprechen miteinander geht beim Spazierengehen besonders gut.“ Ich habe viele Fragen, ich bin optimistisch.
Miriam Meckel kommt schlendernd die Straße herunter, sie trägt Jeans und eine graue Kapuzenjacke, dazu Chucks. Sie ist auch in natura sehr zierlich, zerbrechlich wirkt sie nicht. Ihre Stimme klingt ein wenig kratzig, ansonsten sieht sie gesund aus, leicht gebräunt, erholt.
Der Friedhof liegt still und grün da. An diesem Tag ist es windig und kühl, aber sonnig. Miriam Meckel sagt, sie sei häufig hier. Zum Nachdenken, zum Durchatmen. Vor unserem Treffen habe sie kurz darüber nachgedacht, ob es morbide wirken könnte, sich auf einem Friedhof zu treffen. „Aber ich mag diesen Ort einfach. Es ist ruhig hier – und das mitten in Mitte.“ Und tatsächlich, Autos, Straßenbahn und Baustellen sind hinter der Friedhofsmauer kaum zu hören.
Es gibt hier viele Gräber berühmter Persönlichkeiten. Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Helene Weigel, Dietrich Bonhoeffer. Miriam Meckel zieht die kühle Luft ein. „Dieser Friedhof ist ein geschichtsträchtiger Ort. Es hat etwas Inspirierendes, hier spazieren zu gehen.“
Sie wirkt auch jetzt kontrolliert. Während der Fragen schaut sie konzentriert zu Boden, überlegt, hebt dann den Blick, antwortet. Eher nüchtern. Immer Abstand wahrend. Wie sie aufgewachsen sei? „Relativ normal, ohne großartige Ausschläge.“ Im Süden Düsseldorfs. Mit einer Schwester, Mutter, Vater. Der Vater arbeitete als Schulleiter. Blick gen Boden. Pause. Soll wohl heißen: nächste Frage, bitte. Schönste Kindheitserinnerung? „Im Sommer sind wir immer zu viert mit dem Käfer und unserem Gepäck auf dem Dach nach Österreich an einen der Seen.“ Im Winter Schwarzwald. Mit fünf das erste Mal Ski gefahren. „Dort wohnten wir in der Ferienwohnung einer Familie, die hatten drei Kinder. Das war großartig. Für die zehn Tage war ich immer verschwunden.“ Sie lächelt. Endlich. Dann schaut sie wieder zu Boden, den vor uns liegenden Weg abtastend.
Es ist nicht einfach, Miriam Meckel näherzukommen. Vielleicht liegt es daran, dass sie ein Medienprofi ist, eine Kommunikationsexpertin. Die nur kommuniziert, was sie will, wann sie will.
Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Sinologie, Politologie und Rechtswissenschaften hat sie studiert. Eigentlich habe sie Auslandskorrespondentin werden wollen, Journalistin, vielleicht in China, erzählt sie. Es kam anders. Sie blieb in Deutschland, als Fernsehredakteurin und Moderatorin, später als Regierungssprecherin und Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalen. Seit 2005 leitet sie das Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Schweizer Universität St. Gallen. Sie hält Vorträge und gibt Workshops auf der ganzen Welt. 2007 erschien ihr erstes Buch „Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle“. Es handelt davon, wie Handy, Internet und Co unseren Alltag bestimmen. Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte sie ihr zweites. Thema: der eigene Zusammenbruch. Wenn man so will, ist sie selbst das perfekte Beispiel für ihre Thesen.
Mit ihrer Lebensgefährtin, Fernsehmoderatorin Anne Will, war sie im Urlaub auf Sardinien gewesen, dann zu einer Konferenz in die USA geflogen, hatte am Tag nach ihrer Rückkehr eine Veranstaltung moderiert, zwischendurch etliche Termine wahrgenommen. Was folgte, waren schlimme Bauchschmerzen, Schweißausbrüche. Am nächsten Morgen, beim Kofferpacken, ging nichts mehr. Sie versuchte, ihre Sachen zu ordnen. Es ging nicht. Sie sei außer sich geraten, habe nicht auf hören können zu weinen. „Ich hab gemerkt, ich kann nicht mehr aufstehen, ich kann nichts mehr entscheiden. Ich brauche sofort Hilfe.“
Schon seit einiger Zeit hatte sie unter einem Tinnitus und einer Infektion der Magenschleimhaut gelitten. „Sie sind vollkommen überreizt“, stellte nun ein Arzt fest. Zu viel Informationsinput. Zu hohes Lebenstempo. Die Folge: akute Erschöpfung. Zwei Wochen lang habe sie nur geschlafen. „Das war wirklich so, als ob man aus allem rausfällt, was man so Leben nennt“, sagt sie. Wir gehen einen der Hauptwege des Friedhofes, eine Allee. An den Seiten kräftige schwarz-weiße Birkenstämme. Während Miriam Meckel von der Lautstärke ihres Leben erzählt, ist es um uns herum vollkommen still. Die eigenen Grenzen respektieren und beachten, das habe sie erst lernen müssen. Von Meeting zu Meeting, von einem Kontinent zum anderen, diesen Trott, wie sie es jetzt nennt, den wolle sie nie wieder. „Die Zeit ist vorbei.“ Mit 43 hat sie einen neuen Lebensabschnitt begonnen.
Um sich daran zu erinnern, hat sie immer einen blau-weiß-grünen Stofffetzen dabei. Ein paar Wochen nach dem Zusammenbruch hatte sie ein langes Gespräch mit ihrer Freundin. Es ging um das Leben und um die Verbindung von Zeit und Raum in diesem Leben. Der Stoff, aus dem das Leben ist, sei Zeit und Raum. Sie habe sich so einen Stoff vorgestellt, aus dem Kleidung gemacht ist. Sie sah wieder ihren Koffer, aus dem sie seit Monaten, Jahren lebte, immer auf der Durchreise, sah sich selbst die verschiedenen Kleidungsstücke zusammenpressen, damit sie hineinpassen. Sie wünsche sich mehr Platz, das Leben solle wieder luftiger und durchlässiger sein. In ihrem Buch schreibt sie, sie wünsche sich Zeit, den Stoff auszubreiten, zu testen, wie er sich anfühlt und was durch ihn hindurchscheint. Zeit nehmen. Raum lassen. Leben. Anne Will habe ein Stück aus einem Geschirrtuch herausgeschnitten. Miriam Meckel schreibt: „Ich hab mich gefreut, denn ich habe verstanden, dass sie verstanden hat.“
Anne Will. Vor etwa drei Jahren machten die beiden ihre Beziehung öffentlich. Es heißt, die beiden seien mittlerweile seit acht Jahren ein Paar. Miriam Meckel sagt, sie hätten damals das Gerätsel beenden wollen. Wann und wo sie sich kennenlernten und verliebten, dazu möchte sie nichts sagen. „Privatleben möchte ich gern privat halten.“ Das, was sie im Buch darüber geschrieben habe, sei genug. Sie begründet das nicht. Ich finde das einerseits verständlich, andererseits schade. So bleibt Miriam Meckel die kluge Karrierefrau, die 1999 als jüngste Professorin Deutschlands gefeiert wurde. Die über Krankheiten spricht, aber nicht über Liebe.
Sie schaut auf den Boden, der Sand unseres Weges ist ockerfarben. Wir biegen um eine Ecke und stehen plötzlich vor dem Grab von Ernst Litfaß, dem Erfinder der Litfaßsäule. Der Mann, der ein Medium erfand, mit dessen Hilfe jeder verkünden konnte, was er wollte. Zwei Betonplatten auf der Erde, darüber eine Tafel mit dem Namen, ein gusseiserner Zaun. Keine Pflanze, kein Grün, kein Leben. „Das ist wirklich das am wenigsten gestaltete Grab, das ich hier gesehen habe“, sagt sie und kichert. Wir gehen weiter. Weg von Herrn Litfaß und den Dingen, die sie nicht bekannt machen, sondern für sich behalten will. Weg von der Liebe. Zurück zum Burn-out.
Sie sei für lange Zeit unerreichbar gewesen für die Menschen um sie herum. „Ich war in mir selbst eingeschlossen“, sagt sie. „Für mein enges Umfeld war ich sicherlich eine Zumutung.“ Als ihr Leben zusammenfiel, es keine Zeit und keinen Raum mehr gab, weil sie bloß noch weinen konnte, hätten die Menschen, die ihr nah waren, mit Verständnis und sehr liebevoll reagiert. Fünf Wochen verbrachte sie in einer Klinik. Zu Beginn musste sie dort zwei sogenannte Inaktivitätstage leben. Ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Medien. Kein Telefon, kein Computer, kein Buch, keine Zeitung, kein Radio, kein Fernsehen. Ungewohnt und extrem sei das gewesen. Am Ende auch heilend.
Danach nahm sie ein Sabbatical, ein halbes Jahr Auszeit in Cambridge, Massachusetts. An der Harvard University hielt sie ein paar Vorträge und Workshops. Ansonsten nur Lesen, Networken und Schreiben. Ja, ja, sagt sie und lacht. Sie wisse schon. Nichts tun falle ihr schwer. Doch sie habe ihre Lehren gezogen. Das Blackberry – abgeschafft. Hauptkommunikationsmittel seien jetzt E-Mails.
Erst seit ein paar Tagen ist sie zurück.
Ein Burn-out ist keine Erkältung. „Auch wenn das Leben wieder läuft, es gibt immer wieder Rückfälle“, sagt sie. Sie achte jetzt mehr auf sich. Die Zukunft ist ein Leben ohne die Unterzeile „Miriam Meckel – arbeitet auch, wenn sie Fieber hat“. Geblieben ist, dass sie zwischen Berlin, wo ihre Freundin lebt, und ihrer eigenen Wohnung in St. Gallen pendelt. Berlin sei eine faszinierende Stadt, lebendig und unberechenbar. „Aber zuweilen auch wirklich anstrengend. Manchmal merke ich: Ich brauche jetzt Ruhe. Dann fahre ich nach Hause.“ St. Gallen. Man könne dort stundenlang spazieren gehen, ohne jemandem zu begegnen.
Das letzte Kapitel ihres Buches ist der Brief an ihr Leben. Sie schreibt: „Dennoch habe ich versucht, Dich zu verbiegen, immer wieder. Und wenn das nicht gelang, dann habe ich mich verbogen, so lange, bis ich in einen Entwurf von Dir hineingepasst habe, den andere gemacht hatten, nicht aber ich. Manchmal habe ich auch selbst Hand angelegt. Dann habe ich Dich so lange geformt, bis ich glaubte, Du passtest in die Welt. Ob Du dann noch zu mir gepasst hast, war eine Frage, über die ich nicht viel nachgedacht habe.“
Wir gehen zurück. Wir spazieren, und sie ist plötzlich nicht mehr so weit weg. Ob sie und ihr Leben jetzt besser zusammenpassen? „Ich glaube, wir haben uns sehr, sehr langsam, aber dann doch Schritt für Schritt angenähert“, sagt sie. Sie fühle sich ihrem Leben jetzt deutlich näher als vorher. „Und das Leben gefällt mir jetzt besser, seit ich dünnhäutiger bin, denn ich bin auch sensibler in Bezug auf andere.“ Die „atemlose, wettbewerbsorientierte Art voranzugehen nach dem Motto ‚Ihr kriegt es hin, ich krieg es hin, prima, abgehakt‘“ habe sie abgelegt. Ob das Leben eine Antwort gegeben habe? Sie überlegt. „Ich glaube, mein Leben hat mir die Antwort mit dem Burn-out schon gegeben, bevor ich überhaupt die richtige Frage gestellt habe.“ Vorher habe sie sich zu wenig Zeit genommen. Für das Leben.
In der Klinik beobachtete sie Rehe auf einem verschneiten Feld. Ein Arzt sagte, Rehe bringen Glück. Der, dem sie sich zeigen, sei etwas Besonderes. Ob ihr die Rehe Glück brachten? Sie schluckt. „Also irgendwie schon. Ich habe schon deswegen eine Menge Glück gehabt, weil es in meinem Umfeld viele Menschen gibt, die mir sehr geholfen haben und mir sehr zugewandt waren. Ich habe Glück gehabt, dass ich zu einigen hilfreichen Einsichten gekommen bin und Veränderungen hinbekommen habe, und jetzt habe ich das Gefühl, es geht mir wirklich viel besser.“ Ihre Alles-läuft-super-Fassade sei jetzt ein wenig durchlässiger. Das Glück habe jetzt mehr mit innerer Ausgeglichenheit und Balance zu tun. Ja, so, sagt Miriam Meckel. Wir stehen noch ein, zwei Minuten vor dem Tor. Dann geht sie.
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