Der Europa-Chef von Warner Music, Bernd Dopp, über Musik im digitalen Zeitalter, Probleme mit Youtube und seine Freundschaft mit Madonna.
Am Empfang begrüßen Besucher der Warner Music Group ein von Udo Lindenberg gemaltes Bild und Werke von a-ha-Gitarrist Magne Furuholmen, der in seiner Heimat Norwegen mittlerweile eine zweite Karriere als Maler hat.
Bernd Dopp, Geschäftsführer für Zentraleuropa bei Warner, hat sein Büro im obersten Stock des historischen Backsteingebäudes, das als Teil der Hamburger Speicherstadt direkt am Wandrahmfleet liegt. Wäre da nicht der große Holzschreibtisch, könnte man meinen, in einem Wohnzimmer gelandet zu sein. Gemütliche, senfgelbe Ledersofas, ein Fernseher, Stereoanlage, Boxen und an den weiß gestrichenen Backsteinwänden Plakate, Kunstdrucke und Fotos: Bernd Dopp mit Madonna, Bernd Dopp mit Ed Sheeran, Bernd Dopp mit R.E.M. An der Wand hinten zwei E-Gitarren, Geschenke von Jazz-Gitarrist Pat Metheny und der Band Green Day. Außerdem eine große Leinwand mit dem Foto des Boxers Muhammad Ali. „He is the greatest of all times“, sagt Bernd Dopp. Ali habe ihn mit seiner Kraft, seiner Ausdauer und dem unbedingten Siegeswillen sehr inspiriert.
Dem „Music Consumer Insight Report 2018“ der International Federation of the Phonographic Industry zufolge hören Menschen weltweit 17,8 Stunden Musik pro Woche – am häufigsten im Auto. 86 Prozent hören Musik über On-Demand-Dienste. Letzteres ist in Deutschland aber unterwegs meist überhaupt nicht möglich, da kein WLAN verfügbar ist, das Datenvolumen des Mobilfunkvertrages nicht reicht oder das Netz nicht stark genug ist. Wie interpretieren Sie diese Zahlen für den hiesigen Markt?
Weltweit verändert sich die Musiknutzung gerade radikal. Deutschland hinkt hinterher, hier ist Streaming zwar auch das Thema überhaupt, im Auto ist Streaming aber kaum möglich. Das ist in den USA anders, dort haben sprachgesteuerte Devices wie „Alexa“ das Autoradio abgelöst.
In Deutschland wird Musik noch viel über CD gehört, sie ist bei Weitem immer noch das beliebteste Trägermedium. Das liegt am hohen Durchschnittsalter der Deutschen. Aber auch hier wird die Entwicklung in Richtung Voice-getriebene Devices gehen. Dafür müssen jedoch erst die infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden.
Noch immer ist „Streamripping“, also das illegale Teilen von Musik, in Ihrer Branche ein Problem. In Deutschland geben immerhin 61 Prozent der 16- bis 24-Jährigen an, Musik über Bezahl-Abos zu streamen. Wie wollen Sie die restlichen 39 Prozent auf Ihre Seite ziehen?
Als Musikbranche machen wir preislich und inhaltlich attraktive Angebote: Für zehn Euro im Monat können Sie auf das Musikarchiv der ganzen Welt zurückgreifen. Davon habe ich als Jugendlicher geträumt, damals musste man sich jede Single selbst im Laden kaufen und musste sie zu Partys mitnehmen, wenn man sie dort hören wollte. Jetzt kann jeder alles zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort der Welt hören.
Nun ist der Gesetzgeber gefragt. Denn was uns wirklich Sorgen macht, ist Youtube: Das Unternehmen sieht sich als „technisch-neutraler Durchleiter“, nicht verantwortlich für die Dinge, die auf der eigenen Plattform stattfinden. Damit entzieht sich Youtube dem regulären Lizenzhandel und handelt gegen das Urheberrecht. Das ist nicht zu akzeptieren. Wir wollen verhandeln wie mit jedem anderen Lizenznehmer. Doch Youtube macht Milliardengewinne mit kuratierten Inhalten, spielt unsere Musik, ohne dass wir oder die Künstler angemessen partizipieren. Ein massiver Konflikt, den wir gerade auf EU-Ebene im Rahmen der Verabschiedung einer neuen Urheberrechtsrichtlinie austragen.
Aber nicht jeder Künstler kann von den Streaming-Einnahmen leben?
Das stimmt. Umso wichtiger, dass für die Nutzung ihrer Songs ein fairer Preis bezahlt wird. Spotify zahlt aktuell 18-mal so viel wie Youtube. Das kann nicht sein.
1897 kamen die ersten Schelllackplatten auf den Markt, es folgten Vinyl, Kassette, CD, MP3 – bis Apple 2003 den ersten digitalen Musikladen iTunes präsentierte, in einer Zeit, in der die Sharing Economy Trend wurde. Ist die Zeit der Tonträger und der eigenen Musiksammlung damit vorbei?
In der jungen Generation spielt die eigene Plattensammlung tatsächlich keine Rolle mehr. Positiver Nebeneffekt dabei ist, dass das hässliche Möbelstück CD-Regal sukzessive aus unserem Wohnbild verschwinden wird. In einigen Märkten gibt es schon jetzt keine physischen Tonträger mehr. Streaming wird die Welt regieren, insbesondere auf den wachsenden Märkten mit Bedeutung: in China, Nigeria, Indien. Dort wird Musik vor allem über das Smartphone gestreamt. In Deutschland sieht die Welt aus genannten Gründen anders aus. Mehr als 40 Prozent der Umsätze machen wir aktuell noch mit physischen Tonträgern. Das Geschäft ist allerdings rückläufig.
Vinyl hatte einen kleinen Aufschwung, auf niedrigem Niveau. Darüber habe ich mich gefreut, ich bin mit Vinyl aufgewachsen und besitze selbst viele Platten.
Nach einer schweren Zeit um die Jahrtausendwende hat sich der Markt in Deutschland dank Streaming erholt. Die Musikbranche investiert aktuell weltweit 4,5 Milliarden Dollar pro Jahr in die Entwicklung von neuen Künstlern. Das ist mehr, als die Pharmaindustrie in ihre Forschung steckt.
Wie hören Sie selbst Musik?
Ich höre liebend gerne Modern Jazz. Es gibt zwar Streamingdienste mit guter Tonqualität, aber Vinyl ist für mich unschlagbar. Wenn ich Dub Reggae höre, Punkrock oder Klassiker wie „The Who“ oder die Stones, dann streame ich auch mal. Ich mache das je nach Laune und Situation.
Was hören Sie bei schlechter Laune?
Dann höre ich eher nichts, dann grummele ich lieber vor mich hin.
Gab es vor der Musikmanager-Karriere einen Traum, den Sie verworfen haben, als WEA (Warner, Elektra, Atlantic) anklopfte?
Ich habe in einer Dub-Reggae-Band Schlagzeug gespielt. Wir haben allerdings mehr Zeit darauf verwendet, uns verrückte Bandnamen auszudenken, als an den Stücken zu arbeiten. Es hat dann nicht gereicht, deshalb habe ich die Seite gewechselt. Es ist ein großes Privileg, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Dafür bin ich jeden Tag dankbar. Gerade weil sich mein Job über die Jahrzehnte – ich bin seit 36 Jahren bei Warner – so stark verändert hat, ist er superspannend. In diesem Jahr haben wir eine neue Struktur erdacht: die „Future Music Company“ …
… und die beinhaltet welche Neuerungen?
Wir wollen uns noch viel mehr als in der Vergangenheit auf die Konsumenten konzentrieren, ihre Bedürfnisse und Träume besser verstehen. Wir müssen „magic moments“ kreieren, die man nicht kaufen kann. Dafür bauen wir eigene Kanäle auf, über die wir kommunizieren und Content herstellen, nicht nur über Social Media. Gerade im Zeitalter des Streamings geht es darum, langfristig Aufmerksamkeit zu binden, Communities zu schaffen, als deren Teil sich die Fans fühlen.
Apropos Zukunftsmusik: Wie werden wir in Zukunft Musik hören?
Am besten mit den Ohren (lacht). Das „Voice Device“ wird die Musiknutzung revolutionieren, weil es bequem ist und man keine Kenntnisse haben muss über Künstler oder Titel. Wir hören „laid-back“, müssen nicht mehr zur Musikanlage gehen, um die CD zu wechseln, nicht mehr am Laptop eine Playlist anklicken.
Als junger Erwachsener habe ich im Einzelhandel gejobbt und erinnere mich, wie Kunden, die einen bestimmten Song suchten, mir manchmal etwas vorsummten. Vielleicht wird es in Zukunft ein Device geben, das in der Lage ist, so ein Summen zu dechiffrieren. Und: Ich hoffe, dass die Menschen wieder gute Sound-Qualität anerkennen. Das ist in letzter Zeit leider ein wenig abhanden gekommen.
Im Videobereich gibt es bereits Beispiele – wäre ein eigener Musik-Streamingdienst für Warner Music interessant?
Vor Jahren wäre der sinnvoll gewesen, jetzt ist es zu spät. Kunden reicht es nicht, lediglich unter Warner-Künstlern wählen zu können. Sie erwarten die volle Auswahl. Was muss ein Künstler, eine Künstlerin heute mitbringen, um langfristig und weltweit erfolgreich zu sein, woran erkennen Sie, ob jemand das Zeug zum Weltstar hat? Eine tolle, einzigartige Stimme, Charisma – und man muss es wirklich wollen. Das Wichtigste ist der Song. Er muss Erinnerungen und Gefühle auslösen. Und dann braucht man auch noch Glück. Es ist nicht einfach. Der Weg zum Weltstar ist ein anstrengender Weg, der lange dauern kann.
Sie sind „per Du“ mit Madonna, Neil Young und vielen anderen. Wie sind solche Weltstars in privaten Momenten?
Sie sind alle hochprofessionell, Madonna ist eine Geschäftsfrau, sehr clever, immer freundlich. Während man früher mal zusammen auf Kneipentour gegangen ist, müssen Künstler heute topfit sein. Zertrümmerte Hotelzimmer wie in den wilden Achtzigern sind heute nicht mehr denkbar. Künstler sind ihre eigenen Unternehmen, sehr diszipliniert, sie machen Sport, nehmen keine Drogen, trinken keinen Alkohol.
Was tun Sie, wenn Sie selbst mal Pause vom Musikgeschäft machen?
Ich gehe gern ins Theater, ich mag experimentelle Inszenierungen. Ich lese, ich gehe zu Rotary, das ist mir wichtig, eine Bereicherung. Leider habe ich kaum Freizeit.
Das Interview erschien im Rotary Magazin.