Porträt

„Ich trage mein Zuhause in mir“

Foto: Martin Lengemann

Er ist einer der wenigen deutschen Schauspieler mit internationalem Erfolg: Christian Berkel über Nazirollen, seine eigenen jüdischen Wurzeln und die Schwierigkeiten mit dem Deutschsein.

Die akademische Viertelstunde Verspätung ist längst verstrichen, da kommt er endlich um die Ecke. Mit schwerer Tasche über der Schulter, in schmal geschnittenen Jeans und einem weit aufgeknöpften, graublauen Shirt hastet Christian Berkel auf uns zu. Sorry, Nachtdreh bis vier Uhr früh, kalt war es und anstrengend, sagt er, und dass er gerade erst aus dem Bett gekommen sei.

Im Fernsehen und auch auf dem roten Teppich wirkt der Schauspieler, der ab 8. Mai in der mittlerweile dritten Staffel als „Der Kriminalist“ im ZDF zu sehen ist, oft hart, kühl oder zumindest verschlossen. Live

mit Christian Berkel ist das ganz anders. Trotz Schlafmangels und kratziger Stimme ist er gut drauf, fröhlich gibt er uns die Hand. Kleine Lachfalten bilden sich in seinem braun gebrannten Gesicht.

Als Treffpunkt hatte Christian Berkel sich die „Fischerhütte“ am Schlachtensee ausgesucht. Die ist nur einen kurzen Fußweg von seinem Haus entfernt. Die schwere Tasche lässt er hier, eine Kellnerin stellt sie hinter den Kuchentresen. Ohne großes Drumherumgeplänkel geht es gleich los, denn viel Zeit hat der 51-Jährige heute nicht: Nach unserem Spaziergang ist ein weiteres Interview geplant, dann soll er schon wieder abgeholt und zum „Kriminalist“-Filmset am Berliner Dom gefahren werden. Christian Berkel deutet auf das Diktiergerät: „Soll ich das nehmen?“ Für die Fragen werde er es mir dann hinhalten, sagt er lachend und tut dabei so, als wäre er ein eifriger Reporter.

Christian Berkel ist einer der erfolgreichsten deutschen Schauspieler und einer der wenigen, die sich auch international einen Namen gemacht haben. Seit mehr als 30 Jahren ist er im Geschäft. Man kennt ihn aus diversen Fernsehserien, aus „Das Experiment“ oder „Der Untergang“. Spätestens nach der Oscar-Nominierung des Kinodramas über die letzten Tage im „Führerbunker“ muss Hollywood auf ihn aufmerksam geworden sein. Anschließend jedenfalls spielte Christian Berkel an der Seite von Hollywood-Star Jodie Foster in „Flight Plan“, er drehte mit Tom Cruise für die aufwendige Kinoproduktion über das gescheiterte Hitler-Attentat „Operation Walküre“. Spike Lee engagierte ihn für das Weltkriegsepos „Das Wunder von St. Anna“, und kürzlich sah man Berkel neben Brad Pitt in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“. Hochprofessionell sei die Zusammenarbeit mit all den Hollywood-Größen gewesen, aber auch familiär. So habe Tom Cruise unbedingt Berkels Familie kennenlernen wollen, lud ihn später sogar nach Los Angeles in sein Haus zum Essen ein.

Wir schlendern am Ufer des Schlachtensees entlang Richtung Südwesten. Jogger kommen uns entgegen und Leute mit Hunden. „Da hätte ich meinen ja eigentlich auch mitbringen können“, sagt Berkel. Er meint seinen Boxer, den er heute aber zu Hause gelassen hat. Bei den zwei Kaninchen, dem Meerschweinchen – und den beiden Söhnen. Doch dazu später.

Die internationalen Engagements, der Erfolg, tja, das war ja leider nicht immer so, sagt Berkel. Früher habe er deshalb versucht, immer alles perfekt zu planen. Auch Dinge, die man letztendlich doch nicht in der Hand habe. Seit er losgelassen habe, laufe alles besser. Nun versuche er, im Hier und Jetzt zu leben. Aber wer so erfolgreich ist wie er und nicht wie andere Schauspieler von der Hand in den Mund leben muss, kann sich Lässigkeit vielleicht auch einfach leisten. Sein internationaler Durchbruch in Hollywood gelang mit den Nazirollen – in „Black Book“ (2006) zum Beispiel spielte er einen und in „Tage des Zorns“ (2007) – und mit dem aktuell großen Interesse der US-Filmemacher am Thema Zweiter Weltkrieg.

Die USA und andere Länder entdecken das momentan noch mal für sich neu“, sagt Christian Berkel. Aus einer neuen Perspektive, der der eigenen Verstrickung. Als Deutscher jedoch ständig der Nazi sein zu müssen langweilt irgendwann wohl jeden, Hollywood hin, Hollywood her. Christian Berkel findet zumindest: „Ich habe jetzt weitgehend genug Filme zu diesem Thema gemacht.“ Wenn nun morgen ein tolles Drehbuch im Brief kasten läge, mit dem Angebot, den Nazi zu spielen – „dann würde ich es mir noch einmal überlegen“, sagt er und kichert. Geld, Prominenz, anspruchsvolle Rollen – alles wichtig. Doch das Thema „Drittes Reich“ hat auch viel mit Christian Berkel selbst zu tun. Mit seiner Biografie.

Christian Berkels Mutter ist Jüdin. 1938 floh sie aus ihrer Heimat Deutschland nach Frankreich, zu einer Großcousine ihrer Mutter nach Paris. Als das Leben auch dort gefährlich für sie wurde, wollte sie nach Amerika. „Doch kurz vor der Abreise wurde sie geschnappt“, erzählt Christian Berkel. Französische und ausländische Juden wurden gefangen genommen und ab 1942 in deutsche Vernichtungslager deportiert. Die Großcousine seiner Mutter, erzählt Berkel, sei damals mit einem einflussreichen Franzosen liiert gewesen, der seine Beziehungen spielen ließ und die junge Frau im letzten Moment befreien konnte – allerdings mit der Auflage, nach Deutschland zurückzukehren und sich dort bei den Behörden zu melden. „Das wäre ihr sicherer Tod gewesen“, sagt Berkel nachdenklich. Also tauchte sie in Berlin unter. „Bis 1945 schaffte sie es, im Untergrund zu leben. Dann wanderte sie nach Argentinien aus, auf der Suche nach dem Rest ihrer Familie.“

Noch in Berlin hatte sie einen Mann kennengelernt, sich verliebt, einen Sohn geboren – Christian Berkels älteren Bruder. Das Baby nahm sie mit, der Junge wuchs in Buenos Aires auf. Zehn Jahre blieb die Mutter mit ihrem Kind dort. Dann kehrte sie zurück in ihre Heimat. Den Vater ihres Sohnes hatte sie da längst aus den Augen verloren, als deutscher Soldat war er in russische Kriegsgefangenschaft geraten und hatte nach dem Krieg eine andere Frau geheiratet. „Meine Eltern sind sich dann wieder begegnet“, erzählt Christian Berkel. Wir bleiben einen Moment am Ufer stehen. Das Wasser des Schlachtensees glitzert in der Mittagssonne. Die Bäume, das Plätschern, die laue Luft – das alles wirkt sehr friedlich. Ganz anders als die Ereignisse, die Berkels Familie erlebte, die seine Kindheit prägten. Aber es gab ein kleines Happy End.

Berkels Mutter fand die Nummer ihres früheren Geliebten im Berliner Telefonbuch und rief ihn an. Der Mann erkannte sie nicht. Haben wir irgendetwas gemeinsam? – Ja, einen Sohn. „Dann haben sie sich getroffen“, erzählt Christian Berkel. „Mein Vater ließ sich scheiden und hat sie sofort geheiratet.“ Wir müssen beide lachen. Ein Stoff wie aus einem Hollywood-Drama. Christian Berkel nickt, seine Stimme überschlägt sich leicht: „Ja, ja, ist ne irre Geschichte.“

Berkel wuchs in Frohnau auf. Die Erziehung sei streng gewesen, die Eltern wollten alles richtig machen. Das Wesentliche aber, was den Söhnen vermittelt wurde, sei die Offenheit für Fremdes gewesen. „Für fremde Kulturen, auch Anpassungsfähigkeit“, sagt Christian Berkel, als wir weitergehen. Davon profitiere er sehr. „Ich kann mich sehr schnell in anderen Zusammenhängen zurechtfinden, in fremden Städten und Ländern. Das geht ruckzuck, ich fühle mich relativ schnell zu Hause, da, wo ich bin.“ Vielleicht eine typisch jüdische Haltung, sagt er. Obwohl er selbst ja gar nicht jüdisch erzogen wurde. „Aber ich trag das so ein bisschen in mir, mein Zuhause.“ Das Gute ist: So ein Zuhause kann einem niemand nehmen.

Sein Bruder hatte vor Deutsch erst Spanisch gelernt und verständigte sich mit der Mutter lange in einer Sprache, die Christian Berkel nicht verstand. Vielleicht war das der Grund, warum er selbst auch eine eigene Sprache mit der Mutter wollte, eine Art Geheimsprache. Die jedenfalls ließ sich darauf ein und redete mit dem jüngeren Sohn jahrelang fast nur auf Französisch. Später kam Christian Berkel dann auf ein französisches Gymnasium, fuhr mit 14 Jahren, gerade in der 7. Klasse, allein nach Paris. Für ein Trimester, so die Planung. Es wurden letztlich zwei Jahre daraus.

Eine prägende Zeit, sagt Berkel. Neben der Schule nahm er Schauspielunterricht. Dazu die Pubertät, die Identitätsfindung. „Ich hatte aufgrund der Familiengeschichte so’n bisschen Schwierigkeiten mit Deutschland, mit dem Deutschsein. Heimat, das war für mich ein schwierig zu besetzender Begriff, sehr ambivalent.“ Die Franzosen mit ihrem für ihn ungewohnt freimütigen Nationalstolz habe er um die Klarheit, um das eindeutige Zugehörigkeitsgefühl beneidet. „Ich wollte das auch so haben“, sagt Christian Berkel. Und so wurde er zu einer Art selbst ernannter oberpatriotischer Super-Franzose. Die Franzosen reagierten irritiert.

Auch Berkel war nicht glücklich, spürte die innere Zerrissenheit weiter. „Das Deutschsein war ja ein entscheidender Teil meiner Identität, davor kann man nicht weglaufen, man kann die Identität nicht einfach wechseln wie ein Hemd“, sagt er. Damals habe er das Gefühl gehabt, zurückzumüssen, um das zu klären. Ein Lehrer sprach ihn an, weil er das innere Chaos des Jungen bemerkte. „Er sagte, Berkel, Sie kommen aus einer geteilten Stadt, sind aufgewachsen zwischen zwei Religionen, zwischen zwei Ländern, zwei Kulturen, mit zwei verschiedenen Sprachen – da ist viel Teilung.“ Man müsse sich irgendwann entscheiden, so der Lehrer. Das habe ihn nachdenklich gemacht, sagt Berkel. Er ging nach Deutschland zurück. Mittlerweile fühle er sich klar als Deutscher, aber mit französischer Prägung. „Heute würde ich sagen, ich bin nicht sicher, ob man sich entscheiden muss, es gibt Menschen, die es sich zwischen zwei Stühlen in ihrem Leben einrichten.“ Und trotzdem glücklich sind? „Genau“, sagt Christian Berkel.

Wir unterbrechen, um Fotos zu machen. Christian Berkel setzt sich auf eine Baumwurzel am Ufer, er albert herum, spielt, er würde ins Wasser fallen, und gerät tatsächlich ins Schwanken. Er fällt nicht, wir gehen weiter. Und kommen zum Thema Liebe und Kinder.

Richtig glücklich und endlich sicher, wer er sein will, welche Rolle er in seinem Leben übernimmt – das ist er erst seit ungefähr elf Jahren. Wendepunkt, überlegt Christian Berkel, das war die Begegnung mit Andrea. Andrea Sawatzki, Schauspielerin („Tatort“), 46 Jahre. Die beiden lernten sich 1998 bei Dreharbeiten zu dem Fernsehfilm „Tod auf Amrum“ kennen. Berkel war bei seiner zweiten Ehefrau ausgezogen, die Scheidung auf den Weg gebracht. Eigentlich sei er gar nicht bereit gewesen. Und auch Andrea Sawatzki war noch mit jemandem zusammen. Ein paar Tage lang hätten sie sich gegenseitig beteuert, wie unsinnig das wäre, es ausgerechnet jetzt miteinander zu versuchen, wie sinnlos. „Aber das Leben ist eben anders“, sagt Berkel und kichert wie ein kleiner Junge. Sie trafen sich, und sie verliebten sich sofort. Er sucht nach den richtigen Worten. „Das war einfach … also da ist die Liebe so was von heftig eingeschlagen.“ Sie hatten nicht nach der großen Liebe gesucht und wollten beide keine Kinder. 1999 kam der erste Sohn zur Welt, Moritz.

Drei Jahre später der zweite, Bruno. Die Beziehung und das Vatersein veränderten Berkels Erwartungen vom Leben. Die Jungs lebten sehr im Jetzt, sagt er – und hörte ebenfalls auf zu planen.

Weil aber auch andere seinen Tageablauf planen, müssen wir zurück zur „Fischerhütte“. Die Sache mit Helmut Schmidt möchte ich unbedingt noch wissen, bevor wir uns verabschieden. Zweimal spielte Berkel den SPD-Politiker: in „Die Sturmf lut“ als Hamburger Innensenator, in „Mogadischu“ als Kanzler. Eine Herausforderung: „Helmut Schmidt spricht Hochdeutsch mit leichter hamburgischer Färbung. Bei einzelnen Wörtern hört man sogar, dass er lange Zeit in Bonn verbracht hat“, meint Berkel. Vor den Dreharbeiten übte er deshalb mit einem Sprachcoach. Am Set zur „Sturmf lut“ habe dann das Gerücht kursiert, Schmidt wolle in der Mittagspause vorbeischauen und nach dem Rechten sehen. Stattdessen kam dann eine Referentin und ließ ausrichten: „Schönen Gruß, das Original ist immer besser als die Kopie.“ Christian Berkel lacht, typisch Schmidt sei das.