Interview

Beruf Tierfilmer: Einsamer Wolf hinter der Kamera

Deutschlands bekanntester Tierfilmer Andreas Kieling über seine Liebe zu Flora und Fauna und das Alleinsein in der Wildnis.Herr Kieling, jedes Jahr verbringen Sie mehrere Monate lang auf Expeditionen im Ausland, insbesondere Alaska hat es Ihnen angetan. Was fasziniert Sie so an dieser dünn besiedelten, kargen Gegend?

Es gibt auf der Welt keine Region, die ich so gut kenne. 1991 kam ich zum ersten Mal nach Alaska und bin auf dem Yukon River im Nordwesten Kanadas gepaddelt. Damals habe ich mich verliebt: in die unendliche Weite der Natur, die Tiere, die ziemlich intakte Wildnis. Die Dimensionen dieser Gegend sind für uns Menschen kaum zu fassen. In Deutschland empfinden wir ja 1.000 Kilometern schon als strapaziöse Entfernung, in Alaska zieht man seinen Packschlitten wochenlang hinter sich her. Es kann passieren, dass man 14 Tage lang kein nennenswertes Tier sieht und dann plötzlich eine Herde Karibus an einem vorbeizieht. Ein unvergleichliches Gefühl.

Was empfinden Sie als größte Herausforderung auf Ihren Reisen?

Wir Menschen sind die Zivilisation gewohnt, überall und ständig Handyempfang zu haben, stets zu wissen, wo sich das nächste Krankenhaus befindet, wie es der Familie geht, wo wir Lebensmittel einkaufen können. Ich habe auf meinen Reisen zwar ein Satellitentelefon für den Notfall dabei, doch Strom ist kostbar und der nächste Arzt, Freunde und Familie mitunter tausende Kilometer entfernt. Probleme, die hierzulande relativ leicht zu lösen sind, können in der Wildnis zur Katastrophe führen, einfache Verletzungen können tödlich sein. Deshalb muss man sich immer mit einer gewissen Vorsicht bewegen   das fällt auch mir nicht immer leicht, da habe ich viele Fehler gemacht, viel dazugelernt. Grenzenlose Freiheit kann auch Angst machen. Wenn ich wochenlang allein bin, fehlen mir schon die sozialen Kontakte, Gespräche mit anderen Menschen. Es ist nicht immer leicht, die Einsamkeit auszuhalten, das ist vielleicht die größte Herausforderung. Aber man erfährt auch viel über sich selbst.

Und trotzdem gehen Sie immer wieder Entbehrungen und Risiken ein. Warum?

Wenn ich da draußen bin, bin ich leidensfähig. Die Strapazen einer tage- oder wochenlangen Wanderung sind in dem Moment vergessen, in dem ich Tieren begegne, die offensichtlich noch nie zuvor einen Menschen gesehen haben und sich komplett natürlich verhalten. Ich war der erste Kameramann, der eine Eisbären- Paarung gefilmt hat. Der mit einem wilden Grizzly in einem Gletschersee getaucht ist. Ich habe Elche, Bären, Moschusochsen, Wölfe aus unmittelbarer Nähe betrachten können. Was für ein Privileg! In Nordkanada haben mich Braunbären, in deren Nähe ich ein halbes Jahr zuvor viel Zeit verbracht hatte, wieder erkannt, an meinem Geruch oder meiner Stimme. Solche Momente sind sehr emotional. Das kann keine Safari der Welt leisten: Da wird den Teilnehmern Wildnis vorgegaukelt. Man fotografiert aus einem Geländewagen heraus Löwen und Elefanten und hat abends in der Lodge die Wahl zwischen Weiß- oder Rotwein. Ich aber gehe bis ans Ende der Welt, um die letzten Wildtiere ihrer Art in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen. Das ist es, was mich reizt.

Helfen Ihnen dabei Ihre Kenntnisse als Förster und Jäger?

Sicherlich. Spuren lesen, die Tiere aufzuspüren, ihr Verhalten zu studieren, Natur richtig zu interpretieren, da hilft mir meine Erfahrung. Was kann der Mensch vom Tier lernen? Es gibt in der Natur viele Dinge, die wir auch im menschlichen Miteinander kennen: Wie das Tier will auch der Mensch oft lieber Platzhirsch als Beihirsch sein, Verantwortung übernehmen, selber entscheiden können, führen. Gerade in der Wirtschaft geht es ja oft um Dominanz, Rangordnung, um „fressen und gefressen werden“. Andererseits haben wir Menschen das Prinzip der Fairness, das gibt es im Tierreich nicht. Interessant ist, dass sich Tiere an ihre Umgebung anpassen, um überleben zu können: In der Arktis zum Beispiel gibt es vor allem Generalisten. Nehmen wir die Bären: Wo es Fisch gibt, wird der bevorzugt, in den nordischen Tundren aber frisst sich der Grizzly seinen Winterspeck notgedrungen mit Blaubeeren an, der Braunbär in den Karpaten wiederum frisst Eicheln. Anpassung und Effizienz, da kann der Mensch sich vielleicht noch etwas abgucken.

Wenn Sie doch mal zu Hause sind, leben Sie als Familienvater zweier Söhne auf einem Bauernhof in der Eifel. Langweilen Sie sich nicht dort im deutschen Mittelgebirge so ganz ohne die gefährliche Wildnis?

Im Gegenteil. Auch in Deutschland gibt es viel zu entdecken. 2009 habe ich eine Dokumentationsreihe entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze gedreht, 1.400 Kilometer dem „Grünen Band“ folgend. Diese Wanderung war für mich eines meiner schönsten Abenteuer, emotional sehr bewegend. Einerseits natürlich, weil es eine Reise in meine Kindheit und Jugend war, andererseits, weil ich so erstaunt war von der Vielfalt und Schönheit unserer heimischen Natur. Die Artenvielfalt hat mich richtig umgehauen. Der Seeadler, unser Wappenvogel und größter Adler Europas   ein faszinierendes Tier, sein Bestand erholt sich gerade. Fischotter, Biber, Eulen, Wölfe, Luchse in Deutschland leben mittlerweile wieder so viele interessante Wildtiere!

Das Interview erschien im Magazin der IHK Lüneburg-Wolfsburg (Unsere Wirtschaft).