Wolfgang Rademann ist Deutschlands erfolgreichster Fernsehproduzent. Er dachte sich das „Traumschiff “ und die „Schwarzwaldklinik“ aus, Peter Alexander und Elke Sommer sind seine Entdeckungen. Eine Begegnung.
Der Fotograf soll doch bitte nicht dusselig rumsitzen und Zeit verplempern. „Machen wir doch erst die Fotos, und dann haun Se ab“, sagt Wolfgang Rademann. Er deutet mit dem Kopf zu mir. „Danach kann die Kleene ihre Fragen stellen.“ Die Kleene, das bin ich – 33 Jahre alt, eindeutig erwachsen und, nebenbei, mit ungefähr 176 Zentimetern genauso groß wie er! Aber ich schlucke das. Bloß keine miese Stimmung, bevor das Gespräch überhaupt begonnen hat. Und der sogenannten Berliner Schnauze verzeiht man ja einiges. Er ist in Gedanken ohnehin schon beim Danach: „Und wir beede“, er grinst mich an, „wir machen dann janz jemütlich weiter.“
Wolfgang Rademann, 75 Jahre alt, ist Deutschlands erfolgreichster Fernsehproduzent. Er dachte sich das „Traumschiff “ und die „Schwarzwaldklinik“ aus, Peter Alexander und Elke Sommer sind seine Entdeckungen. Zwei Goldene Kameras hat Rademann schon bekommen, drei Bambis, ein Bundesverdienstkreuz. Während andere mit 75 von der Rente leben und sich in Vollzeit um Hobby und Garten kümmern, arbeitet Wolfgang Rademann noch immer genauso viel wie vor fünf Jahrzehnten.
Wir treffen uns in Nikolassee, im „Wirtshaus an der Rehwiese“, seinem Lieblingslokal. Hier sitzt er oft, rechts vom Eingang im kleinen Seitenraum, wo ihn nicht gleich jeder sieht. Mit einem Plastikpikser nimmt er eine schwarze Olive aus dem kleinen Schälchen, das ihm der Kellner hingestellt hat. Diverse Drehbücher entstanden hier, Ideen für „Traumschiff “-Geschichten und andere Produktionen. „Termine mit Schauspielern und Drehbuchautoren und Regisseuren mache ich immer gern hier“, sagt er.
62 Folgen „Traumschiff “ hat Wolfgang Rademann seit 1981 gedreht, es ist, abgesehen vom „Tatort“, die älteste deutsche Fernsehserie, die bis heute ununterbrochen läuft. Seine höchste Einschaltquote waren mal 25,15 Millionen Zuschauer, bei der zwölften Folge im Januar 1984 – eine Traumquote, wenn man bedenkt, dass beim Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft 2006, als Deutschland gegen Italien spielte, 29,66 Millionen Zuschauern zuguckten – der deutsche Rekord. Na ja, bei den vielen Fernsehprogrammen heutzutage, sagt Wolfgang Rademann, die Quoten von damals, die seien heute nicht mehr zu machen. Er wirft sich die letzte Olive in den Mund, und wir gehen nach draußen, Foto machen.
Wir spazieren über die Straße zur Rehwiese. Wolfgang Rademann steckt beim Gehen die Hände in die Hosentaschen und kickt ein Steinchen weg. Es sind nur ein paar Schritte bis zu der Wiese, die schmal wie eine riesige Wanne zwischen den Bäumen liegt. Eine unheimlich schöne Landschaft, findet Wolfgang Rademann. Dort hinten eine Kirche, „das könnte doch sonst wo sein. Mitten in der Stadt ’ne unentdeckte kleene Oase.“ Ob er hier oft spazieren geht? „Nee.“ Er schüttelt den Kopf. Grinst. „Eigentlich nicht.“ Eigentlich sind wir nur hier, weil unsere Rubrik nun mal Spaziergang heißt. Eigentlich ist ihm aber viel zu kalt dafür. „Also, ick latsche hier nicht lange mit Ihnen rum, sondern wir machen hier vorn ’n paar Fotos, und dann bin ick wieder drinnen.“ Martin Lengemann macht die Fotos und verabschiedet sich. Rademann und ich kehren zurück zum Wirtshaus. „Sie haben ja richtig lange Beene“, sagt er, musternd. „Siehste, die hätt’ ick jar nicht jesehn, wenn wir nicht raus wär’n.“
Im Warmen kommen wir zurück zum Thema „Traumschiff “. Dessen Besatzung hat sich in den drei Jahrzehnten kaum verändert. Heidi Keller spielt seit der ersten Folge die Chefhostess, Horst Naumann, mittlerweile 84 und seit 27 Jahren der Schiffsarzt, will Ende dieses Jahres aufhören. Der Vertrag mit dem ZDF und der Reederei läuft noch bis 2014.
Warum ausgerechnet eine Serie mit oft ziemlich schmalzigen Geschichten – über Heiratsschwindler, Juwelendiebe und, natürlich, Liebschaften – und mittlerweile gealterten Hauptdarstellern seit Jahrzehnten so geliebt wird, kann auch Rademann nicht erklären. „Det weeß keener.“ Er selbst tippt auf drei Punkte: „Das Traumschiff“ wird nur zweimal im Jahr ausgestrahlt, hat also einen gewissen Eventcharakter. Der Zuschauer bekommt jedes Mal ein neues Land zu sehen, insgesamt 62 bis jetzt, Traumurlaub vom Wohnzimmer aus sozusagen. Und drittens wisse man, was einen erwartet, sagt Wolfgang Rademann. Das Format wurde in all den Jahren nicht verändert: „Schiff fährt ab, Land, Schiff kommt an, Kapitänsdinner, Happy End, Schluss.“ 90 Minuten Unterhaltung, etwas Pomp, etwas Kitsch. „Lachen und weinen, und am Ende geht immer alles gut aus.“ Mord und Totschlag oder womöglich Sexszenen gibt es beim „Traumschiff “ nicht. Die Erwartungen der Zuschauer werden erfüllt. Jedes Mal.
Wolfgang Rademann hat eine kleine Wunde an der Stirn. Am Vortag war er noch bei Freunden in München gewesen, wollte mit dem Flieger zurück nach Berlin. Doch sein Flug wurde gestrichen, und er musste spontan auf die Bahn umsatteln. Er raste also mit dem Taxi vom Flughafen zum Hauptbahnhof, rannte zum Gleis, sprang in den ICE – und stieß sich dabei den Kopf. Direkt dort, wo sich schon eine alte Narbe entlangzieht. Ach das, „Kriegsverletzung“, sagt er. Das war 1944, zehn Jahre war er alt und lebte mit seinen Eltern im brandenburgischen Neuenhagen, östlich von Berlin. Er erinnert sich, dass es wegen der Nachtverdunkelung stockfinster im Haus war, als der Fliegeralarm losging. Auf dem Weg in den Luftschutzkeller donnerte er mit dem Kopf gegen einen Kleiderschrank. Daher die Narbe.
Die Jahre nach dem Krieg, erzählt er, das war die Zeit, die ihn am meisten geprägt hat. 1946 starb sein Vater. Er verhungerte. „Det war die erste Leiche in meinem Leben, die ich jesehn habe“, sagt Wolfgang Rademann. „Osten eben, da gab’s nüscht zu fressen.“ Danach war er mit seiner Mutter allein. Auf den umliegenden Äckern sammelte er übrig gebliebene Kartoffeln und Körner. Aus Kastanien machte die Mutter Bouletten, aus Brennnesseln Suppe. „Wenn ich heute im Restaurant bin und ’ne Brennnesselsuppe für fünf Euro 80 sehe“, sagt Wolfgang Rademann, „dann erinnere ich mich daran, was ich damals für verbrannte Pfoten hatte, um die Scheißsuppe zu kriegen.“ Die Scheißsuppe, die alles war, was „Muttern“ und er hatten. Die den Hunger stillte, den verdammten.
In dem Wirtshaus riecht es nach Deftigem. „Der Gedanke an den Hunger tut weh“, sagt er. Und erzählt vom großen Respekt vor Lebensmitteln, der seit jener Zeit geblieben ist. Dass er nichts wegschmeißen kann, seinen Teller immer leer isst. Immer. Auch wenn er schon satt ist. Er streicht über seinen Bauch. Wolfgang Rademann geht es gut. Er hat ein Haus in Berlin-Nikolassee, er hat viel Geld, er ist sein eigener Chef, seine Produktionen laufen. „Aber“, sagt er, „Geld, Reichtum, Luxus, in der Beurteilung all dessen bin ich einfach dankbar.“
Das Verhältnis zu seiner Mutter war bis zu ihrem Tod eng.1958 flohWolfgang Rademann aus dem Osten nach West-Berlin und nahm sie mit. Bis dato hatte er als Lokalreporter gearbeitet und für den Rundfunk Tanzmusiksendungen zusammengestellt. Im Westen fing er als freier Reporter bei der „BZ“ an. „Zu einem damals sagenhaften Gehalt von 800 Mark im Monat.“ Neun Jahre blieb er. Dann reizte ihn Fernsehen mehr als das gedruckte Wort. Die Kollegen hielten ihn für verrückt, Fernsehen, furchtbar, das habe doch keine Zukunft. „Später meinten die, Mensch, Wolfgang, da hattest du den richtigen Riecher.“ Für Caterina Valente, Pierre Brice und Peter Alexander machte er die Pressearbeit, entwickelte Formate. 1966 schaffte er mit der Sendung „Das Leben ist die größte Show“ im ZDF seinen Durchbruch als Fernsehproduzent. Drei Jahre später lief die erste „Peter Alexander Show“, insgesamt gab es dann 26 Folgen. Die Musikshows seien das Schönste gewesen, was er je gemacht hat. „Weil Musik viel emotionaler ist als Worte.“
Ohne Muttern, sagt er, wäre er aber nicht in den Westen gegangen. „Das war Bedingung.“ Sie war nie groß verreist, hatte nie die Berge gesehen. „Wenigstens in den letzten Jahren ihres Lebens konnte ich ihr noch ordentlich was zeigen.“ Andere Länder, die Alpen. „Das beruhigt mich“, sagt er. „Sie ist dann ziemlich alt geworden, 84 Jahre, aber sie hat wenigstens noch was Schönes mitmachen können.“
Musikshows macht Wolfgang Rademann nun schon lange nicht mehr. Die Zeit dafür sei vorbei, meint er. „Sie wird auch nicht wiederkommen.“ Seine Heimat Neuenhagen besucht er einmal im Jahr. Das Elternhaus ist kaum noch zu erkennen, so umgebaut ist es heute. „Aber jeden Sommer fahre ich dort vorbei und gucke.“ Das Dorf scheint ein bisschen fremd geworden zu sein, „das ist es ja schon ’ne Riesensache, wenn da ’ne neue Ampel irgendwo hinkommt.“
Eine eigene Familie hat Wolfgang Rademann nie gegründet. Seit 1976 ist er mit der Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek liiert. Die beiden führen eine Fernbeziehung, er lebt in Berlin, reist die meiste Zeit des Jahres, sie lebt am Bodensee in der Schweiz. Trotzdem, seit 34 Jahren sind die beiden ein Paar. Oder gerade deshalb. „Länger als eine Woche am Stück sind wir selten an einem Ort. Das funktioniert eben damit, dass es ’ne Fernbeziehung ist.“ Würde man zusammenleben, wäre man eher nicht mehr zusammen. „Ich war in meinem Leben keinen einzigen Tag angestellt, habe nie ’nen Chef gehabt“, sagt er. „Diese Freiheit, im Beruflichen wie auch im Privaten, ist die wichtigste Stimulanz in meinem Leben.“ Heiraten? Zusammenziehen? „In meinem Alter werde ich ’n Teufel tun und mich noch ändern“, sagt er. „Und außerdem funktioniert’s ja.“
Gerade war er in Kambodscha, demnächst fliegt er nach Japan. Er sieht sich mögliche Drehorte an, trifft sich mit Partnern vor Ort. Jedes Jahr verbringt Wolfgang Rademann Januar, Februar und März auf dem „Traumschiff “. Das Schiff ist die Konstante in seinem Jahr. Oder in seinem Leben? Vielleicht, sagt er. „Den Rest des Jahres oder zumindest alle sechs Wochen versuch ick jedenfalls, in Berlin zu sein.“
Zu Hause wartet dann weitere Arbeit. Die in Form eines Stapels Filme. Wolfgang Rademann lässt sich alle deutschen Fernsehproduktionen aufzeichnen. Diesmal waren es zum Beispiel 64 Filme, die er während des dreimonatigen „Traumschiff “-Drehs verpasste. Dazu noch die ganzen deutschen Kinoproduktionen. Manchmal sitzt er nächtelang vor dem Fernseher, „drei Filme pro Abend, dreimal 90 Minuten schaff ’ ick.“ Über alle diese Filme führt er Statistik, schneidet die Ankündigungen aus der Fernsehzeitschrift aus, klebt sie in ein Album und gibt dem Film dann eine Schulnote. 1800 Filme hat er so schon archiviert. Mit den Kinofilmen ist es schwieriger. Neulich hat er Til Schweiger eine E-Mail geschrieben und gefragt, in welchem Kino jetzt noch „Zweiohrküken“ gezeigt wird. Til Schweiger antwortete, dass er sich den Film bei ihm im Büro anschauen könne. Also fuhr Wolfgang Rademann da hin und guckte „Zweiohrküken“. Er gab dem Film die Note „Zwei plus“. „Keinohrhasen“, der Vorgängerfilm, hatte eine Eins bekommen.
Wozu die Statistik? „Für mich“, sagt er. „Um informiert zu sein, auch aus Neugier auf die Konkurrenz, und um Autoren, Schauspieler oder Regisseure zu entdecken.“ Außerdem hasse er es, wenn ihm sein Gegenüber überlegen ist. „Ick möcht das selbst sagen können: ‚Weißt du schon …‘ oder: ‚Hast du den und den Film schon gesehen?‘“ Wenn ein anderer das zu ihm sagt, das mag er nicht. Wolfgang Rademann behält gern die Oberhand.
Beinahe zwei Stunden sind jetzt um, „die Kleene“ hat dann auch nur noch eine letzte Frage bitte. Was fehlt dem deutschen Fernsehen? „Ne Menge“, sagt Wolfgang Rademann. „Vor allem wird zu wenig gelacht.“ Er nimmt meinen Mantel vom Haken, hilft mir hinein. Ganz die alte Schule. „So, könnse mit dem Material wat anfangen?“ Ja, vielen Dank.