Kolumne

Das Klima-Experiment: Mein Versuch, CO2-neutral zu leben

Ob Lebensmittel, Weihnachtsgeschenke, Kosmetika: Reporterin Anne Klesse versucht, zwei Wochen lang nur mit Produkten zu (über-)leben, die in Berlin oder Brandenburg hergestellt werden – und führt darüber Tagebuch.

Ich bin öko. Zumindest so lange, wie meine persönlichen Bedürfnisse nicht allzu sehr eingeschränkt werden. Ich besitze kein Auto, kaufe gern Bio-Produkte und stelle das Wasser aus, während ich Zähne putze. Der vom Menschen verursachte Klimawandel und die Horrorszenarien für die Generation meiner Enkel und Urenkel erschrecken mich.

Das ist die eine Seite. Die andere: Ich mag Südfrüchte, Mode und die verlockenden Auslagen im Supermarkt. Ich mag es, im Souterrain der großen Einkaufspassage eine Mango aus Brasilien zu kaufen, im Erdgeschoss ein hübsches Ringbuch aus China und im zweiten Stock einen Pulli „made in India“. Ich achte selten darauf, woher die Ware kommt. Ich achte eher auf den Preis und kaufe das, was mir gefällt.

Damit ist jetzt Schluss. Während bei der Weltklimakonferenz auf Bali über globale Maßnahmen für den Klimaschutz diskutiert wird, werde ich in den kommenden zwei Wochen versuchen, selbst etwas zu tun und meine persönliche Klimabilanz zu verbessern. Dafür möchte ich möglichst nur von regionalen Produkten leben, mindestens aber ausschließlich Dinge aus Deutschland kaufen. Denn die wurden nicht, wie das Papier aus China oder die Mango aus Brasilien, mit dem Containerschiff von einem Kontinent zum anderen verfrachtet, in einem deutschen Hafen auf Lkw geladen und zum Einkaufszentrum in Berlin transportiert. Soll heißen: Wenn ich regionale Produkte kaufe, bleibt der Umwelt einiges an Schadstoffen erspart. Hoffe ich zumindest.

Los geht es mit einer Bestandsaufnahme – wie sehr habe ich in der Vergangenheit Produkte gekauft, die von weit her kommen? Schon ein Blick in meinen Kleiderschrank lässt nichts Gutes erahnen: Die T-Shirts, Pullis, Blusen, Hosen und Jacken kommen aus mindestens sieben verschiedenen Ländern, von den Schuhen ganz zu schweigen. Im Kühlschrank sieht es nicht besser aus: Gefüllte Weinblätter aus der Türkei, Prosecco aus Italien, Käse aus Frankreich.

Doch das Badezimmer schlägt alles: Gesichtscreme und Lipgloss wurden in Frankreich gefertigt, der Nagellack in Brasilien, der Lidschatten in Italien, die Körperlotion in Großbritannien. Das Make-up hat einen besonders weiten Weg hinter sich, es ist „made in Canada“. Und woher die einzelnen Rohstoffe eventuell kommen, ist auf den ersten Blick überhaupt nicht festzustellen. Meine Möbel und die Bettwäsche stammen ebenfalls weder aus Deutschland noch aus Schweden, wie Name und Anbieter vermuten ließen. Hängelampe und Stühle wurden laut Konzern in Vietnam gefertigt. Ikea bezieht seine Ware nach eigener Aussage von 1350 Lieferanten in 50 Ländern.

Die Rewe-Gruppe, zu der rund 3000 Supermärkte in Deutschland gehören, bietet in jedem dieser Märkte im Durchschnitt 16 000 Artikel an – und hat bislang nicht gezählt, aus wie vielen Ländern der Welt sie kommen. In der Regel, so Stefan Lechtenböhmer (42) vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, haben Waren aus Deutschland eine bessere Klimabilanz als die aus dem Ausland. Doch es gibt Ausnahmen: „Auch heimische Produkte können CO2-Schleudern sein – etwa, wenn ein Lkw mit einer Ladung Äpfel aus Brandenburg erst fünfmal um Berlin herumfährt, bevor er den Weg zu seinen Abnehmern findet.“

Die Kennzeichnung „made in Germany“ ist daher nicht gleichbedeutend mit klimaschonend. Das bestätigt auch Experte Stefan Lechtenböhmer. Produkte, denen nur der letzte Schliff in Deutschland verpasst wurde, können ebenfalls als „Made in Germany“ markiert werden – ein Turnschuh aus China zum Beispiel, der in Deutschland lediglich eine neue Verpackung erhält.

Jeder Mensch produziert in Deutschland durchschnittlich zehn Tonnen Kohlendioxid im Jahr – zweieinhalbmal so viel wie der Weltdurchschnitt. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie hat die einzelnen Emissionsbereiche aufgeschlüsselt. Die Berechnungen zeigen: Jeder Einzelne kann schon durch kleine Veränderungen im Lebensstil die persönliche Klimabilanz verbessern. Das fängt beim Verzicht auf lange Flugreisen an – und endet beim bewussten Einkauf von Lebensmitteln.

„Am besten ist es, saisonal und regional zu essen“, sagt Klimaexperte Stefan Lechtenböhmer. Er meint: keine Erdbeeren im Winter, keinen Spargel im Herbst. Aber auch keine Zitrusfrüchte, keine Bananen, kein argentinisches Rindfleisch (für mich als Vegetarierin kein Problem). „Für eine CO2-reduzierte Ernährung sollte man zudem Tiefkühlkost und Nahrungsmittel aus Treibhäusern vermeiden“, so Lechtenböhmer weiter. Je Energie sparender die Zubereitung, desto besser. Am besten für die persönliche Klimabilanz sei es, sich ausschließlich von Rohkost zu ernähren. Lechtenböhmer hält außerdem Produkte aus ökologischem Anbau für empfehlenswert, da in der konventionellen Landwirtschaft durch das Düngen ein weiteres Treibhausgas, Distickstoffoxid, entstehe.

Die Europäische Kommission hat auf ihrer Internetseite einen sogenannten Kohlenstoffrechner installiert, mit dem man den eigenen Lebensstil überprüfen kann. Er bietet Ideen und Tipps, wie sich die Kohlendioxidemissionen durch einfache Veränderungen der Alltagsgewohnheiten reduzieren lassen: So rechnet er etwa vor, dass eine Fernreise per Flugzeug 4000 Kilogramm Kohlendioxid „kostet“, eine Temperatursenkung in der Wohnung um ein Grad dagegen bis zu 300 Kilo Kohlendioxid pro Jahr einsparen kann, der Verzicht auf das Auto bei Kurzstrecken immerhin 240 Kilo CO2 einspart. Ein Auto habe ich ohnehin nicht, Geld für einen Fernurlaub auch nicht. Also werde ich in den nächsten Tagen an anderer Stelle ansetzen: keine importierten Waren mehr.

Vorbild ist eine Gruppe von 60 Freiwilligen aus New York, die im September dieses Jahres etwas Ähnliches versucht hat. Im Rahmen des Projekts „100 Mile Diet Challenge“ wollten sich die New Yorker ausschließlich von Lebensmitteln ernähren, die in einem Umkreis von 100 Meilen (rund 160 Kilometer) produziert wurden. Das bedeutete für sie: keine Kartoffelchips, kein Rindfleisch aus dem Mittleren Westen der USA, keine Bananen. Sinn der Aktion war es, darauf aufmerksam zu machen, dass es möglich ist, auf Nahrungsmittel zu verzichten, die Tausende Kilometer durch das Land gereist sind.

Das will ich von heute an auch versuchen. Eines steht dabei jetzt schon fest: Der Verzicht auf Mangos wird mir schwerfallen.

Klimaexperiment1PDF

Zum Thema erschien eine regelmäßige Artikelserie von Anne Klesse in Welt, Welt am Sonntag und Berliner Morgenpost (alle Kolumnen abrufbar).