Interview, Magazin

Sehbehinderte Strafverteidigerin: Justizia ist blind

Foto: VALUA

Pamela Pabst, Deutschlands erste blinde Strafverteidigerin, über die Atmosphäre in Gerichtsgebäuden, Diskriminierung und was sie gerne einmal sehen würde.

Frau Pabst, als Strafverteidigerin vertreten Sie Mandanten, die zum Teil wegen schwerer Raub- oder Gewaltdelikte angeklagt werden. Wie wissen Sie, ob jemand die Wahrheit sagt?

Kollegen behaupten ja gern, sie könnten in den Augen ihrer Mandanten sehen, ob jemand lügt. Ich höre an der Stimme meines Gegenübers, ob jemand aggressiv ist, fordernd oder entspannt. Ich achte sehr darauf, wie jemand in den Raum kommt, auf das Auftreten, den Händedruck, die Laune. Meine funktionierenden Sinne sind besser ausgebildet als bei Sehenden, ich spüre sehr viel von dem, was drum herum passiert. Man könnte es wohl Subtext nennen. Aus all diesen Informationen entsteht ein ziemlich klares Bild. Am Ende weiß man natürlich nie, ob jemand lügt oder die Wahrheit sagt. Es gibt sehr gute Lügner. Doch meine Aufgabe ist es, meine Mandanten vor Gericht Rechtsbeistand zu sein.

Sie haben ursprünglich Jura studiert, um Strafrichterin zu werden, doch dafür muss man laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes Angeklagte und Zeugen sehen können. Finden Sie das gerechtfertigt?

Niemals! Das halte ich für großen Unsinn und für ungerecht. Ich kann doch Fälle oder Menschen nicht schlechter einschätzen, nur weil ich nicht sehen kann. Als Strafverteidigerin habe ich vor Gericht immer meine Assistentin dabei, die mir Akten vorliest und mitunter beschreibt, was gerade im Gerichtssaal passiert. Seit 2013 bin ich außerdem eine von 20 Richtern am Anwaltsgericht in Berlin. Dort urteile ich über Kollegen, die Fehler gemacht haben und dafür angeklagt werden. ln dem Bereich des Rechts war es überhaupt keine Frage, ob ich der Aufgabe trotz meiner Seilbehinderung gerecht werden kann oder nicht. Nur im Strafrecht darf ich nicht Richterin sein. Das ist nicht logisch.

Sie besuchen regelmäßig Mandanten im Gefängnis. In Ihrer Kanzlei führen Sie täglich Gespräche mit Mördern und Schlägern. Ist das deprimierend?

Ich bin Fachanwältin für Strafrecht und verhandle nun einmal vor allem Fälle wie Bankraub, Mord und Totschlag, Gewaltdelikte. Aber ich mache auch Steuerstrafsachen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich überwiegend mit Straffälligen zu tun habe, ich vertrete aber auch Opfer. Vergewaltigte Frauen zum Beispiel oder Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Die meisten meiner Mandanten sind jedoch tatsächlich Männer, manche von ihnen kenne ich seit Jahrzehnten die werden leider immer wieder straffällig. Das deprimiert mich nicht. Für andere ist es vielleicht seltsam, dass ich mein Geld sozusagen mit den Verbrechen anderer verdiene. Aber für mich ist es mittlerweile mein Traumberuf. 

Was finden Sie an Ihrem Beruf traumhaft?

Die Gerichtsverhandlungen mag ich besonders. Da habe ich richtig Spaß an meinem Beruf. Die Gerichtsgebäude haben eine tolle Atmosphäre. Ich arbeite in ganz Deutschland – die Strafgerichte sind oft sehr schöne alte Häuser. Säle mit hohen Decken, Holzschnitzereien. Ich gehe meist vorher durch die Räume, manchmal taste ich die Wände ab. Dann ziehe ich meine schwarze Robe an und schlüpfe in die Rolle der Strafverteidigerin. Ich mag auch die zum Teil altertümliche Sprache. Während der Verhandlung geht es natürlich oft um grausame Dinge. Aber unsere Rechtsprechung lebt eben davon, dass vor Gericht der gesamte Sachverhalt noch mal aufgedröselt wird. Da werden Krimis lebendig! Man muss sich wohl den Abstand bewahren. Sonst würde man ja all die Schicksale mit nach Hause nehmen. Für mich ist es ein extrem spannender Job, durch ihn habe ich die Möglichkeit, sämtliche Facetten der Gesellschaft kennenzulernen.

Gibt es Fälle, die Sie ablehnen?

Menschen, die Tiere quälen, die würde ich nicht vertreten. Damit kann ich nicht umgehen, das wäre mir zu viel. Aber sonst habe ich noch nie jemanden abgelehnt. Die Menschen rufen mich an, wenn sie eine Vorladung geschickt bekommen haben, wenn sie gerade verhaftet wurden und noch bei der Polizei sitzen. Ich bekomme auch Anrufe aus dem Gefängnis, weil ein Insasse seinen Vollzug inhaltlich gestalten, also beispielsweise eine Lehre machen oder in den offenen Vollzug gehen will und bei der Durchsetzung seiner Wünsche rechtliche Hilfe benötigt. Als Anwältin ist man oft ein Stück weit auch Sozialarbeiterin, Therapeutin oder auch einfach mal der Sorgenonkel. Gerade Mandanten, die im Gefängnis sitzen, haben oft nicht viele andere soziale Kontakte „draußen“.

Wie geben Ihre Mandanten mit Ihrer Seilbehinderung um?

Da die meisten Mandanten über Empfehlung kommen, gebe ich davon aus, dass sie im Vorfeld bereits wissen, dass ich blind bin. In den Gesprächen spielt es eigentlich keine Rolle, da geht es dann um den Fall.

Was würden Sie gerne einmal sehen können?

Einen Regenbogen. Das wäre schön.

 

Das Interview erschien im Magazin VALUA/Themenheft Licht.