Porträt

Wie Computerhacker wirklich sind

Sie kann sich in Wahlcomputer hacken, Handys abhörsicher machen, Fingerabdrücke nachbilden und Autos reparieren. Constanze Kurz ist eine der Vorsitzenden des Chaos Computer Clubs. Anne Klesse spazierte mit der Wissenschaftlerin durch Berlin und erfuhr einiges über Freaks und Demokratie.

Ein bisschen wäre ich gern wie sie. Ein Computerfreak. Eine, die den totalen Überblick hat. Über Bits und Bytes, Prozessoren, Transistoren, Thyristoren. Stattdessen habe ich Physik in der Schule so bald wie möglich abgewählt und während des kurzen Informatikunterrichts im sogenannten Rechenzentrum das Bild eines Sterns programmiert. Irgendwann war der Stern fertig und mein Interesse an Quelltexten für immer erschöpft.

Gut, das ist zwei Jahrzehnte her. „Da hat sich nicht viel verändert“, sagt Constanze Kurz und lacht. Die 34 Jahre alte Informatikerin ist Dozentin am Lehrstuhl für Informatik in Bildung und Gesellschaft an der Humboldt-Universität. Sie kennt die Probleme an den Schulen. Und setzt sich für eine bessere Ausstattung und lebhafteren Unterricht ein. Viel interessanter aber ist: Constanze Kurz ist Hackerin.

In Filmen und Büchern sind solche wie sie oft unattraktive, seltsame Menschen. Einzelgänger, deren soziale Kontakte ausschließlich virtuell stattfinden. Die aber auch Schlüsselrollen einnehmen: derjenigen, die ein für Normalos ebenso unverständliches wie kostbares Wissen besitzen. Die sich mal eben in den Hauptrechner eines Geheimdienstes hacken, Satelliten steuern, Alarmanlagen austricksen, Atomkraftwerke herunterfahren. Doch dann ist da diese zierliche blonde Frau, sie ist hübsch und fröhlich, hat einen kräftigen Händedruck und wache, hellgrüne Augen. Hacker hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Wir verweilen einen Moment am verabredeten Treffpunkt, vor der Eingangstür eines gelben Altbaus an der Marienstraße in Mitte, und plaudern gleich drauflos.

Wie wird man überhaupt Hacker? Spätestens seit der Serie „24“ (mit Kiefer Sutherland und einer Hackerin namens Chloe) brennt mir diese Frage auf der Seele. Haben Hacker einfach mehr Grips als andere Menschen? „Ach“, sie lacht und schüttelt den Kopf. Haarsträhnen flattern im Wind. „Ick gloob“, sagt sie in schönstem Berlinerisch, „der typische Hacker ist zunächst einmal interessiert, wat Kreativet mit dem Jerät zu machen. Zu probieren, wo die Grenzen sind.“ Hacker sagt sie, mit A, nicht Ä. „Da wächst man eher so rein, nach der Try-and-Error-Methode.“ Sie selbst habe früher nichts mit Computern am Hut gehabt.

Aus einer Pfarrersfamilie kommt sie. Großvater, Onkel – alles Theologen. Der Vater nicht, der ist Bausachverständiger, ihre Mutter Archivarin. In Marzahn verbrachte Constanze Kurz ihre Kindheit, jetzt wohnt sie in Lichtenberg. Ihr erstes Studium, Volkswirtschaftslehre, brach sie kurz vor dem Examen ab. Die bei anderen eher unbeliebten Kurse, Wirtschaftsinformatik zum Beispiel, Tabellenkalkulation, Programmierung, hatten ihr am meisten Spaß gemacht. Also wechselte sie das Fach und schrieb sich für Informatik ein. In einer Arbeitsgruppe lernte sie den kleinen Bruder eines Hackers kennen, der sie mit zu einem Treffen des Chaos Computer Clubs schleppte. „Ich fand das spannend“, erinnert sie sich heute, etwa zehn Jahre später.

Wir gehen durch den hübsch sanierten Hausflur über einen gepflasterten Hof, dann stehen wir vor einer hohen Glastür. Aufkleber warnen: „Trojaner müssen draußen bleiben“ und „Long-haired, freaky people need not apply“. Ich muss schmunzeln. Hacker-Witze. Hinter dieser Tür hat der Chaos Computer Club seine Räumlichkeiten. Constanze Kurz ist eine der Vorsitzenden.

Der Clubraum ist groß und dunkel. Holzfußboden, abgewetzte Ledersofas, Kickertisch. In der Mitte des Raumes zusammengestellte Tische, darauf Computer, ein Knäuel von Elektrokabeln in Weiß, Rot, Gelb. Es riecht nach abgestandenem Zigarettenrauch, nach langen Nächten, in denen hier getüftelt und gebrütet wird. Manches Klischee über Computerfreaks scheint in diesem Raum lebendig. Man kann sich gut vorstellen, wie hier Typen mit Kippe im Mundwinkel sitzen, auf ihre Bildschirme starren und sich Binärcodes oder etwas in der Art ausdenken. „Tja, mit den Nerds und Geeks muss man natürlich klarkommen“, sagt Constanze Kurz, sie lacht und sieht sich um. Etwa 100 Mitglieder hat der Club in Berlin. Bundesweit dürften es um die 3000 sein. Sich selbst definieren sie als „galaktische Gemeinschaft von Lebewesen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Rasse sowie gesellschaftlicher Stellung, die sich grenzüberschreitend für Informationsfreiheit einsetzt und mit den Auswirkungen von Technologien auf die Gesellschaft sowie das einzelne Lebewesen beschäftigt und das Wissen um diese Entwicklung fördert“. Nun denn. Ein bisschen Verschwurbeltsein gehört wohl dazu.

Constanze Kurz trinkt ihren Milchkaffee mit viel Zucker. Sie erzählt von ihrer Dissertation, die sie noch in diesem Jahr abgeben will. Das Thema: Wahlcomputer. Natürlich, ihr Lieblingsthema. Bei der Bundestagswahl 2005 wurden die rechnergesteuerten Wahlgeräte erstmals in Deutschland im großen Stil eingesetzt, danach auch bei Landes- und Kommunalwahlen. „Die Probleme, die wir sehen, sind die fehlende Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Stimmabgabe. Und es ist sehr einfach, das Gerät zu manipulieren“, sagt Constanze Kurz. Sie redet jetzt unglaublich schnell. Bei Wahlcomputern in Holland, erzählt sie, schafften es Hacker innerhalb von 60 Sekunden, die Software zu knacken. Die niederländische Regierung machte daraufhin einen Rückzieher, lässt seither wieder auf Papier wählen. Nachdem das Bundesinnenministerium in Deutschland nicht reagiert hatte, reichten Constanze Kurz und ihre Clubkollegen Beschwerde ein, beim Bundesverfassungsgericht. Auf eine Entscheidung warten sie noch. „Wir hoffen sehr, dass die Richter verstehen, dass es da ein großes Problem gibt“, sagt Constanze Kurz.

Dass Kritik an neuer Technologie zu Problemen mit denjenigen führen kann, die sie verkaufen, erlebt die Hackerin zurzeit gerade wieder. Bei der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg sollte zur schnelleren Auswertung der Stimmen ein digitaler Wahlstift eingesetzt werden. Der Chaos Computer Club schaffte es aber vorher, das Papier der Stimmzettel zu hacken. Das elektronische Abstimmungsverfahren wurde gekippt, der Hersteller ging leer aus. Er verklagte den Chaos Computer Club. „Wir haben Sicherheitsmängel aufgedeckt und einfach nur veröffentlicht, was wir herausgefunden haben“, sagt Constanze Kurz. Sie ist aufgebracht. „Wir wollten doch nur, ich sags mal ganz pathetisch, die Demokratie retten!“ Kommerzielle Interessen, so ihre Überzeugung, dürfen nie wichtiger sein als Datensicherheit.

Datensicherheit. Das klingt wie ein Zauberwort. Gerade jetzt, da einem beim Einkauf im Discounter (Lidl) oder während des Telefonierens (Telekom) das Wort Bespitzelung einfällt. In solchen Zeiten wird ein früher vielleicht als Versammlung von Freaks belächelter Verein zum gefragten Spezialistenpool. Und so steht Constanze Kurz auch mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar und den Datenschützern der Länder in engem Kontakt – „gewählte Leute, die oft nicht so offen sprechen können, wie sie manchmal vielleicht gern würden. Die meist froh sind, dass wir dann Probleme öffentlich machen.“ Wir verlassen den Chaos Computer Club und schlendern in Richtung Regierungsviertel. Über den Dächern ist schon die Reichstagskuppel zu erkennen. Auch dort sitzt die Klientel von Constanze Kurz. Immer häufiger fragen nämlich auch Parlamentarier die Experten des Clubs an.

Zum Beispiel in der Debatte um den „Bundestrojaner“, die Online-Durchsuchung. „Wir wurden eingeladen, haben Fragen beantwortet – was das überhaupt bedeutet, wie gefährlich das ist, wie man sich schützen kann“, erzählt Constanze Kurz. Auch informell treffe man sich. Sie könnte ins Detail gehen, von Keyloggern erzählen, von Malware, Sniffern, der Remote Forensic Software. Sie lässt es. Sie hat wohl meinen Gesichtausdruck bemerkt. Mir schwirrt der Kopf. Gut, dass wir an der frischen Luft sind. Sie geht schnell, ist überhaupt gern in Bewegung. „Sonst werde ich wahnsinnig.“ Vor Kurzem hat sie ihr Motocross-Rad verkauft – „zu wenig Zeit“. Dafür laufe sie jetzt häufiger zu Fuß. An „faulen Tagen“ fahre sie mit ihrem Kleinwagen. Einem gehackten Smart.

Sie kann nämlich auch Autos reparieren. Kleinteile auswechseln, Fehler in der Elektronik beheben. Irgendwann wollte Constanze Kurz mehr, kapieren, wie das Hirn des Autos, die digitale Logdatei, aussieht und funktioniert. Was sie dazu benötigte: eine Schnittstelle, einen Adapter, Software. Dann konnte sie das Auto an ihren Laptop anschließen und schnüffeln. Kfz-Mechaniker können mit der Datei Fehler finden, Constanze Kurz erkannte ihr eigenes Bewegungsprofil. Daten. Persönliche Daten. „Überall hinterlassen wir Spuren“, sagt sie.

Ihre eigenen verwischt die Hackerin, so gut es geht. Sie hat ein abhörsicheres Handy, verschlüsselt E-Mails. Als wir an der Spree zurück Richtung Osten gehen, fällt mir mein Reisepass ein. Vor einigen Tagen musste ich einen neuen beantragen und Fingerabdrücke abgeben. Ein unangenehmes Gefühl. Man kennt das ja nur aus Filmen, von den Verbrechern. Ich dachte an die aktuelle „Datenschleuder“, die Zeitschrift des Chaos Computer Clubs, die ich zu Hause liegen hatte. Der Fingerabdruck von Bundesinnenminister Schäuble klebte auf der letzten Seite, als Schablone, die man sich auf die Fingerkuppe legen kann. Ich hatte mir ausgemalt, wie es wäre, seinen statt meinen Abdruck im Bürgeramt abzugeben. Wäre vielleicht witzig gewesen. Ich bin nicht sicher, ob Schäuble es auch lustig gefunden hätte.

Volltreffer. Biometrie ist das zweite Fachgebiet von Constanze Kurz. Auch biometrische Daten könne man hacken, sagt sie. Einen Fingerabdruck nachzubilden, sei kinderleicht – man brauche Graphitpulver, Sekundenkleber, einen Scanner und Folie. Ihr Redefluss wird unterbrochen von lautem Krächzen. Ihr Handy. „Corvus Corone“, sagt sie. „Aaskrähe. Den Klingelton hab ich von einem Freund, der ist Ornithologe und hat eine riesige Datenbank mit Vogelgeräuschen.“ Die ganze Welt, wird plötzlich klar, besteht aus Daten.

Ich beobachte sie während des Telefonierens. Constanze Kurz könnte ein so bequemes Leben führen, sich einen Spaß daraus machen, die Firewalls großer Unternehmen zu knacken, es niemandem verraten, sich still und heimlich darüber freuen. Oder Geld für einen guten Rat verlangen. Das tun viele, Constanze Kurz kennt etliche Hacker, die sich als IT-Sicherheitsberater selbstständig gemacht haben. Stattdessen erntet sie Klagen, zieht den Ärger verprellter Geschäftsleute auf sich. Warum? „Bei fast allen Bereichen, in denen wir uns engagieren, haben wir einfach mitbekommen, da ist ’ne Fehlentwicklung. Wir wollen Aufklärung leisten, zeigen, was Propaganda ist und wie die Wirklichkeit aussieht.“

Und auch den Finger in die Wunde legen. Wenn zum Beispiel einerseits über Internetkriminalität und Online-Durchsuchungen gesprochen wird und andererseits Stellen bei der Polizei abgebaut werden. Oft eine undankbare Aufgabe, Constanze Kurz findet, sie musste „schon viele Kröten schlucken“. Drohungen gegen sich selbst oder andere Hacker schrecken sie aber nicht davon ab, ihre Meinung kundzutun. Sie ist schließlich Expertin. Und kämpft für das Gute. „Da lassen wir uns nicht den Mund verbieten.“